Tagesausflüge
Die Geschichte des Rheinlands im Freilichtmuseum Kommern
Philipp Haaser · 25.04.2025

Ländliche Idylle im Museum? Foto: © Hans-Theo Gerhards__LVR
Vielleicht ist die Dorfschule der Ort, an dem sich die Erinnerungen und das Entsetzen über die Vergangenheit zu den heftigsten Eindrücken verdichten. An der Wand hängt ein Druck, der versucht, alle Strafen in einem typischen Klassenzimmer des 19. Jahrhunderts in einem Bild zu zeigen. Meine neunjährige Tochter schaut ihn fasziniert und abgestoßen zugleich an. Währenddessen berichtet meine Mutter, Jahrgang 1945, von dem Gefühl, das sie hatte, wenn sie als Lieblingsschülerin des Volksschullehrers im Klassenzimmer nebenan den Rohrstock holen musste, damit er einen Mitschüler verhauen konnte. „Das kannst du dir nicht vorstellen“, sagt sie.
Meine Tochter setzt sich mit ihrer Freundin ungerührt in die Holzbank, die im ersten Stock des Fachwerkhauses steht. Die beiden ziehen Fratzen, verlangen, fotografiert zu werden. Dann ziehen sie weiter durch das autofreie Gelände. Mit dem Freilichtmuseum Kommern ermöglicht der Landschaftsverband Rheinland (LVR) uns eine Zeitreise durch mehr als zweihundert Jahre Regionalgeschichte bis in die heutige Zeit.
Originalgetreu rekonstruierte Häuser lassen hautnah erleben, wie unsere Vorfahren lebten und arbeiteten.
Foto: © Hans-Theo Gerhards / LVR
Lebendige Erinnerungen und Ausstellungen
Im Wesentlichen sind es die Häuser, die ihre Geschichte erzählen, und damit vom Leben in ländlichen Regionen wie dem Rheinland, dem Bergischen oder dem Westerwald. Die meisten von ihnen wurden an Originalstandorten abgebaut und im Museum wiederaufgebaut, vom großen Fachwerkbauernhaus bis zum kleinen Zeitungskiosk aus den 1960er Jahren. Sie wurden zu Dörfern angeordnet und verdeutlichen unterschiedliche Siedlungsstrukturen vom ungeordeten Westerwalddorf bis zum rheinischen Marktplatz, um den sich das Dorfzentrum gruppiert.
Die Gebäude zeigen durch ihre Form, ihre Räume und ihre Einrichtung den Alltag ihrer einstigen Bewohner. Das Dorf aus dem 18. Jahrhundert erzählt vom entbehrungsreichen Leben mit den kargen Bauernhäusern, in deren Stuben heute Laiendarstellerinnen Wolle spinnen. Aber auch von gemeinschaftlichen Einrichtungen wie dem Klassenzimmer, in das die Wärme der Ofenrohre steigt, wenn im Erdgeschoss Brot gebacken wird.
Im Freilichtmuseum Kommern sind selbst unterschiedliche Zeiten nebeneinander erlebbar: Eine Bauernstube mit Ofenfeuer ...
Foto: © Hans-Theo Gerhards / LVR
Enge Straßenzüge erzählen in der Ausstellung „WirRheinländer“ von der Zeit der napoleonischen Herrschaft in den Dörfern des Rheinlands. Durch die Fenster blicken wir in Stuben, wo beinah lebensgroße Puppen alltägliche Szenen vermitteln.
In den Zimmern der Wellblech-Baracken, die für die Flüchtlinge aus dem Osten des zusammengebrochenen Deutschen Reichs errichtet wurden, wird auch für uns heute die Enge spürbar. Sie war eine konkrete Folge der drastischen Wohnungsnot nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Zuversicht der Wirtschaftswunderzeit erwacht an der Dorfkreuzung zum Leben, an der neben der Kneipe ein beschaulich wirkender Bungalow steht, samt gepflegtem Garten. Daneben ein Fertighaus aus dem Quelle-Katalog, eingerichtet mit heute wieder heiß begehrten 50er-Jahre-Möbeln und ausgestattet mit inzwischen historischen Küchengeräten.
... und städtisches Vorortflair.
Foto: © Hans-Theo Gerhards / LVR
Eine Trafostation, eine eckige gelbe Telefonzelle und eine Milchbar samt Theke und Jukebox tragen ihren Teil zu dieser vergleichsweise jungen Geschichte bei. Über den bordeauxroten Ford Taunus 17m in der Garage des Fertighauses freut sich mein Vater besonders.
Handwerk, Bräuche, Feste
Die zahlreichen Laiendarsteller im Museum schaffen, dass der Alltag der längst vergangenen Zeiten lebendig wird. Sie zeigen häusliche Tätigkeiten, sie backen, spinnen, pökeln, drechseln und schmieden. Ihnen helfen die sorgsam drapierten alltäglichen Gegenstände wie Kinderspiele, Stühle, Werkzeuge und Haushaltsgeräte. Und so sind es eben nicht nur die redseligen Mauern selbst, die äußerst plastisch bleibende Eindrücke vermitteln. Nicht zuletzt zeigt das Museum, wie früher gefeiert wurde, welche Bräuche wichtig waren, und hält sie lebendig mit jahreszeitlichen Festen wie etwa der „Kirmes anno dazumal“.
Für all das braucht es natürlich Platz – wir sprechen hier von 110 Hektar – und ein wenig Durchhaltevermögen. So gesellen sich am Ende auch Klagen über müde Füße zu den zahlreichen Eindrücken. In zeitloser Papa-Manier lass ich diese natürlich nicht gelten und erkläre sie kurzerhand zum echten Bestandteil dieser Zeitreise. In der Festscheune folgt dann gleichwohl die Entschädigung in Form von Kuchen, Kaffee und zwei Riesenportionen Milchreis mit Apfelkompott.
Informationen; Öffnungszeiten und Adressen
LVR-Freilichtmuseum Kommern
Auf dem Kahlenbusch, Eingang Eickser Straße
53894 Kommern
Tel. 02443 / 998 00
www.kommern.lvr.de
Es gibt einen Museumsladen, einen Kiosk, einen Bäckerstand sowie zwei Gaststätten. Ganzjährig geöffnet:
März – Oktober, 9–18 Uhr, November – Februar, 10–16 Uhr, Feiertage abweichend
Eintritt: Erwachsene 11 Euro, Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre frei
Freier Eintritt jeden 2. Freitag im Monat
Jahrmarkt anno dazumal
mit Attraktionen und Fahrgeschäften von 1871 bis zur Wirtschaftswunderzeit
Do, 15.–So, 27.4., Karfreitag, 18.4., geschlossen.
Eintritt Erwachsene: 13 Euro
Das könnte Sie auch interessieren:
Das Oldtimer-Museum „PS.Speicher“ in Einbeck
Kölnisches Stadtmuseum: Geschichte mit viel Gefühl
Ein Besuch bei „Mister N.“ im Neanderthal Museum
Tags: Geschichte , Museum , Region , Rheinland
Kategorien: Kultur , Unser Köln , Tagesausflüge