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Leben in Köln

Erfahrungsaustausch für Angehörige psychisch erkrankter Menschen

Diana Haß · 26.03.2024

Rolf Fischer fand selbst als Hilfesuchender zu „Rat und Tat e. V.“ – heute ist er Vorsitzender des Vereins. Foto: Diana Haß

Rolf Fischer fand selbst als Hilfesuchender zu „Rat und Tat e. V.“ – heute ist er Vorsitzender des Vereins. Foto: Diana Haß

Angehörige tragen oft die Hauptlast, wenn ein Mensch psychisch erkrankt. Doch gibt es auch Hilfe für sie, damit sie sich nicht alleingelassen fühlen. "Rat und Tat e. V." bietet Gesprächskreise in sechs Kölner Stadtteilen.

„Gerade ist unsere Tochter wieder in der Psychiatrie“, erzählt Manfred Schmitz (Name geändert). Die Eltern einer Zwanzigjährigen mit der Diagnose paranoide Schizophrenie haben anstrengende Jahre hinter sich. Wiederholt hatte die Polizei das Mädchen orientierungs- und hilflos aufgegriffen, manchmal Rettungssanitäter sie nach Hause gebracht. „Für uns als Eltern war das schrecklich, wir waren ständig in Sorge“, erzählt Schmitz, „zusätzlich war es schwierig, die richtigen Ärzte und Therapeuten zu finden.“

Die fünf Frauen, die mit Schmitz um einen Tisch im Sozialpsychiatrischen Zentrum Mülheim sitzen, nicken verständnisvoll. Auch bei ihnen sind nahestehende Menschen psychisch erkrankt. „Hier in unserer wöchentlichen Gesprächsrunde können wir innehalten, genauer hingucken und uns austauschen“, sagt Susanne Heim, die den Gesprächskreis leitet. Selbsthilfe ist das Herzstück der Arbeit des Vereins „Rat und Tat“.


Sie gehört zu den Gründungsmitgliedern des Vereins: Susanne Heim ist bis heute dort aktiv. Foto: Diana Haß

Heim, inzwischen 85 Jahre alt, hat den Verein 1985 zusammen mit 23 Gleichgesinnten gegründet. „Damals wurden Angehörige gar nicht beachtet“, sagt die Mutter eines psychisch kranken Sohns. Man habe ihnen höchstens vermittelt, dass sie durch ihr Verhalten „schuld“ an der Erkrankung seien. Eine Haltung, die zusätzlichen Druck aufbaute in einer Situation, die ohnehin stark belastete. „Die Angehörigen tragen häufig die Hauptlast, emotional und oft auch finanziell“, weiß auch Rolf Fischer, Vorsitzender des Vereins.

Sich abzugrenzen entlastet

„Ich fühle mich verantwortlich“, ist eine typische Aussage von Angehörigen in den Beratungen und Selbsthilfegruppen. „Das sind Sie aber nicht. Der Erkrankte geht seinen eigenen Weg“, lautet die Botschaft, die Eltern, Geschwister, Partner oder Freunde dann hören. „Angehörige verfallen in ihrer Ratlosigkeit gerne in Aktionismus. Sie überfordern und überlasten sich damit“, berichtet Heim. Sie weiß auch, wie schwer es fällt, es auszuhalten, wenn ein geliebter Mensch depressiv ist, eine Psychose oder eine andere psychische Erkrankung hat. „Ich kann meinen Sohn nicht einfach so laufen lassen. Ich will etwas unternehmen, ihm helfen. Ihn so zu sehen, tut mir so weh“, klagt die Mutter eines 22-Jährigen, die zum ersten Mal beim Gesprächskreis ist. Die anderen hören mitfühlend zu.

„Bewahren Sie Ruhe, vertrauen Sie ihm, lassen Sie ihm Zeit“, merkt Heim an. „Wenn Sie den Blick darauf richten, was er schon geschafft hat, geben Sie ihm Kraft.“ Eine Mutter, deren erwachsene Tochter seit vielen Jahren psychisch erkrankt ist, bestätigt: „Meine Erfahrung ist, am besten offen zu sein und die Entwicklung zuzulassen.“ Ihre Tochter lebt inzwischen in einer durch Fachpersonal betreuten Wohngruppe und hat einen gesetzlichen Betreuer. „Wenn ich die Gruppe nicht gefunden hätte, wäre ich über die Jahre zugrunde gegangen und nicht mehr arbeitsfähig gewesen“, erzählt die Mutter.

Mehr als Selbsthilfe und Beratung

Als große Hilfe hatte auch Rolf Fischer den Verein erlebt, als er vor über zehn Jahren dort Rat suchte. Nach wie vor brauchen Angehörige Rückhalt und Austausch. Das spiegelt sich auch in der Mitgliederzahl von rund 180 wider. „Wir sind ein recht aktiver Verein“, stellt er fest. Fünfunddreißig Ehrenamtliche im Alter von 23 bis 85 Jahren engagieren sich. Sie beraten am Telefon, helfen bei der Organisation oder leiten die Gesprächskreise, die in sechs Kölner Stadtteilen stattfinden.

„Was mich tröstet, ist, dass ich dazu beitragen kann, einzelnen Menschen das Leben etwas zu erleichtern, indem ich meine Erfahrungen weitergebe und andere ermutige, über ihre Not zu sprechen.“

Susanne Heim, Gründungsmitglied

Regelmäßig gibt es für die Beratenden Fortbildungen und Supervision. Und der Verein macht noch mehr: Von Anfang an kooperierte er mit der Volkshochschule. Dort treffen sich seit 1996 Angehörige, Psychiatrie-Erfahrene, beruflich in der Psychiatrie Tätige und Interessierte regelmäßig im „Psychose- Forum“ zum Erfahrungsaustausch auf Augenhöhe. „Unser Verein ist Mitglied im Paritätischen Wohlfahrtsverband. Er wird durch den Landschaftsverband Rheinland, die Stadt Köln und die Krankenkassen gefördert“, erläutert Fischer. „Rat und Tat e. V.“ verwaltet auch treuhänderisch die „Kölner Stiftung für psychisch Kranke und ihre Angehörigen“, die 1992 von Susanne Heim ins Leben gerufen wurde.

Auch nach 37 Jahren intensiver „Lobby“-Arbeit sieht Heim in der Psychiatrie noch viel Verbesserungsbedarf, nicht zuletzt beim Umgang mit den Angehörigen der Erkrankten. „Sehr weit sind wir noch nicht gekommen“, findet sie. „Was mich tröstet, ist, dass ich dazu beitragen kann, einzelnen Menschen das Leben etwas zu erleichtern, indem ich meine Erfahrungen weitergebe und andere ermutige, über ihre Not zu sprechen.“ Bei den Teilnehmenden ihres Gesprächskreises hat sie das geschafft. „Für mich ist das hier sehr wertvoll. Ich nehme jedes Mal etwas mit“, sagt Schmitz.

Rat und Tat e. V.

„Worringer Bahnhof“,
Kempener Str. 135,
Tel. 0221 / 91 39 94 01.
Terminvereinbarung für eine persönliche Beratung:
Tel. 0221 / 739 07 34 (Mo–Do 11–13 Uhr).
Beratungszeiten:
Mo 13–16 Uhr,
Di und Do 10.30–12.30 Uhr,
Mi 14.30–17.30 Uhr,
Fr 16–18 Uhr.

Für Kinder und Jugendliche Beratung
Dienstag 16–17 Uhr.
E-Mail: info@rat-und-tat-koeln.de
www.ratundtat-ev.koeln

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Tags: Hilfen für Angehörige , Selbsthilfe

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