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Gesund leben

Tai-Chi und Qigong – mehr Lebenskraft im Alter

Tim Farin, 2023 · 13.05.2024

Die Übungen sehen leicht aus, aber gelingen nur mit viel Konzentration. Foto: Thomas Banneyer

Die Übungen sehen leicht aus, aber gelingen nur mit viel Konzentration. Foto: Thomas Banneyer

Was ist dran an der asiatischen Gymnastik, die in China Menschen bis ins hohe Alter praktizieren? Ein Besuch bei einem Qigong-Kurs gibt Einblicke.

„Es ist Arbeit, viel Arbeit, zu entspannen“, sagt Michael Lourenco und wirkt dabei alles andere als angestrengt. Der schlanke Mann mit grauem Voll- bart und festem Stand neigt seinen Kopf zur linken Schulter und schaut sich um. Im Kreis vor ihm stehen sieben Seniorinnen und Senioren in lockerer Freizeitkleidung, die unter seiner Anleitung gemeinsam Qigong üben, was übersetzt so viel wie „stete Arbeit an der Lebensenergie“ heißt.

Sie neigen ihre Köpfe ebenfalls nach links, bei manchen zieht die rechte Schulter hoch, und Lourenco fällt das sofort auf. „Wenn ihr die Schulter hochzieht, habt ihr nur mehr Stress, aber keine Entspannung.“ Lourenco zeigt es nochmal, seine rechte Schulter bleibt unten. Die Teilnehmenden machen es nach. In ihren Gesichtern sieht man, dass sich etwas löst.

Entspannungstechnik aus Fernost

Eigentlich ist Lourenco gelernter Schauspieler. Er kam über Qigong und Tai-Chi zur Entspannung und ist heute als Lehrer für diese chinesischen Techniken aktiv. Er findet gut, dass diese Techniken für Jung und Alt geeignet und körperlich nicht anstrengend sind. Jeden Donnerstagmorgen fährt er zur Begegnungsstätte in der Wohnanlage Pohlmannstraße, dem Standort des SeniorenNetzwerkes Niehl, das vom Deutschen Roten Kreuz betrieben wird. Drinnen oder draußen im Garten empfängt er die Teilnehmer.

Von Qigong und Tai-Chi haben viele schon gehört. Doch was sich dahinter verbirgt, ist ihnen vielleicht nicht so recht klar. Da beide Methoden aus China kommen, besteht für Menschen ohne Fernost-Kenntnisse oder eigene Erfahrungen in den Disziplinen auch Verwechslungsgefahr. Doch die Unterschiede sind groß, auch wenn sich manche Bewegungen in beiden Techniken finden lassen.

Tai-Chi und Qigong – Was ist der Unterschied?

Tai-Chi ist eine „innere Kampfkunst“. Es geht neben vielen anderen Aspekten darum, mitunter anspruchsvolle Bewegungsabläufe zu trainieren. Es sind alte Angriffs- und Abwehrtechniken, welche in der Philosophie des Taoismus verankert sind, die Sieg durch Anpassung und Geschmeidigkeit lehrte. „Wer schon ein hohes Körperbewusstsein hat, etwa geübte Sportlerinnen oder Tänzer, oder wer einfach Lust darauf hat, kann sich an Tai-Chi wagen“, erzählt Lourenco.

„Aber Einsteigerinnen und Einsteigern würde ich meistens zum Qigong raten – deshalb machen wir das hier.“ Lebenskraft steht im Mittelpunkt Qigong, das ebenfalls aus dem Taoismus stammt, ist ein System der „Traditionellen Chinesischen Medizin“ (TCM) und damit aufs Heilen und Erhalten von Gesundheit ausgerichtet. Hier spielen „Yin“ und „Yang“, zwei entgegengesetzte, aber wechselwirkende Kräfte, eine große Rolle: weiblich – männlich, dunkel – hell, passiv – aktiv, ruhig – bewegt, weich – hart, still – bewegt ... Daher werden Spannung und Entspannung als bewusste Bewegungsziele geübt.

„Je langsamer du dich bewegst, desto mehr Bewegungsfreiheit bekommst du und spürst, was dir guttut.“

Michael Lourenco

In der TCM gehe es natürlich nicht darum, diagnostizierte Krankheiten mit Qigong zu therapieren, sagt der Lehrer. Aber wohl darum, eigene Heilung zu finden. „Wie kann ich mich bewegen und entspannen, um mich besser zu fühlen?“, erklärt er. Der gesundheitliche Wert dieser Techniken ist erwiesen. Zu Tai-Chi und Qigong gibt es inzwischen eine große Zahl an wissenschaftlichen Veröffentlichungen.

Zu Gesichtspunkten wie der Vorbeugung von Stürzen, der Verbesserung der geistigen Fähigkeit, der Linderung von Depressionen, Angst und Schlafstörungen gibt es zahlreiche positive Untersuchungen, vieles deutet sogar auf positive Auswirkungen auf das Herz-Kreislauf-System hin. Doch beim Blick auf einzelne Krankheitsbilder ist noch Vorsicht geboten, nicht alle Forschungsergebnisse haben Allgemeingültigkeit.

Sich einlassen und langsam lernen

Um kurz vor zehn am Morgen hat Marina Mölders, 66, bereits ihre wöchentliche Qigong-Einheit durchlaufen. Sie lacht und erzählt, warum sie seit dem Herbst des vergangenen Jahres am Kurs teilnimmt. „Ich wollte ein bisschen entschleunigen, denn ich habe zwei Enkel, die mich sehr fordern“, sagt sie, „außerdem wollte ich meinen Körper ein bisschen mehr kennenlernen.“ Hier übe sie das Ansteuern einzelner Muskeln und einzelner Gelenke. Inzwischen habe sie das Entspannen der Schultern und des Kiefers gut im Griff.

Die nächste Kursgruppe steht schon bereit, die sechs Damen und Herren plaudern locker, alle sind per Du. Es fällt sofort auf, dass einige schon sehr gelöst in die Einheit gehen, sie lachen und scherzen. Zwei ältere Damen stehen eher ruhig und konzentriert dabei. „Man sieht, dass es Zeit braucht, sich auf die Sache einzulassen“, sagt Lourenco, „das Wichtigste ist wirklich, sich diese Zeit zu nehmen.“


Michael Lourenco unterrichtet mit Freude. Foto: Thomas Banneyer

Viele seiner Kursteilnehmer haben keine Erfahrungen mit ähnlichen Angeboten, sie müssen sich auf die bewusste Arbeit mit ihrem Körper einlassen – und das sogar noch vor den Augen anderer. Oft kommen Beschwerden hinzu, Bewegungseinschränkungen, Schmerzen des Alters. Er berichtet: „Am Anfang sind die meisten unsicher, unbeweglich, eingeschränkt, was Bewegungen, Körpergefühl und Gleichgewicht angeht.“ Aber er beobachte, wie sich das regelmäßig innerhalb weniger Monate verändere. „Und das bei Senioren, die teilweise sehr gebückt hier ankommen. Und dann merkt man, sie werden aufrechter, entspannter.“

Je langsamer, desto freier

Man kann förmlich dabei zusehen, wie auch in dieser Stunde die Spannung aus den Körpern weicht, wie die Teilnehmenden ihre Bewegungen verlangsamen und ihre Muskeln locker lassen. Ruhe kehrt ein. Lourenco schaut genau hin und kommentiert. „Je langsamer du dich bewegst, desto mehr Bewegungsfreiheit bekommst du und spürst, was dir guttut“, sagt er.

Er legt sanft seine Hand an Arme, an den Kopf oder den Rücken, um die eingenommene Haltung vor allem in Entspannung zu bringen. Er beginnt mit einfachen Übungen, Unsicherheiten begegnet er mit Humor. Nun werden die Handgelenke gelockert, Fingergelenke geknetet und es wird sich mit Bedacht vorgebeugt. Auch Gelenke, die viele Menschen selten bewusst wahrnehmen, wie das Becken, werden langsam in alle Richtungen bewegt. Dann folgen die Knie, die ebenfalls kreisen sollen.

Stefan Hempel nimmt regelmäßig teil. Der 69-Jährige ist angetan, denn Qigong hilft ihm nicht nur muskulär, sondern auch bei seinen sonst eher hektischen Gedanken. „Es macht mich ruhiger im Kopf“, sagt er, „das merke ich, ich kann jetzt viel besser abschalten.“ Zum Ende der Einheit sollen alle mehrere Bewegungen in einem Ablauf kombinieren. „Die Wolken zur Seite schieben“ oder „Den Affen verdrängen“ heißen diese umfangreichen Folgen, nach denen alle gut gelaunt auseinandergehen.

Einige Anbieter:

Viele SeniorenNetzwerke, Sportvereine und Bürgerhäuser bieten Kurse an. Sie werden oft von den Krankenkassen bezuschusst.
Kölner Adressen finden Sie im KölnerLeben-Heft oder im KölnerLeben-Wegweiser.

Michael Lourenco
Tel. 0176 / 24 34 40 65
www.michael-lourenco.de

Wuway Zentrum
Tel. 01577 / 355 39 58,
www.wuway.de

VHS-Köln
Viele Kurse, zum Beispiel am 18.11.: Qi Gong zum Kennenlernen in Porz
Tel. 0221 / 221-2 59 90,
www.vhs-koeln.de

Kölner Seniorengemeinschaft für Sport und Freizeitgestaltung e. V. (KSG)
Tel. 0221 / 42 10 23 30
www.koelner-senioren.de

Weidener Sportfreunde Schulsportzentrum
Weiden Tai-Qi-Gong,
dienstags, 16.30 Uhr
Tel. 0151 / 57 68 44 49

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Tags: Fitness für Senioren , Tai-Chi und Qigong in Köln

Kategorien: Gesund leben