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Leben in Köln

Mehrgenerationen-Wohnprojekt in Köln

Karin Bünnagel · 01.06.2023

Für gemeinsame Aktivitäten der Anwohner wie Flohmarkt, Sommerfest oder Weihnachtsbaumaufstellen bietet die Siedlung genug Platz.

Für gemeinsame Aktivitäten der Anwohner wie Flohmarkt, Sommerfest oder Weihnachtsbaumaufstellen bietet die Siedlung genug Platz.

Einstmals als Öko-Projekt belächelt, ist „Stellwerk 60“ in Nippes mittlerweile eine vielfach ausgezeichnete Wohnsiedlung mit Vorbildfunktion. 2006 zogen die ersten Mieter ein, vor zehn Jahren wurde sie komplett fertiggestellt.

Fahrradklingeln und lautes Kinderlachen auf allen Straßen und Wegen. Im „Stellwerk 60“ geht Wohnen und Leben ein bisschen anders: ohne Autos, ohne zugeparkte Stellflächen, ohne Abgase und Autolärm. Dafür aber mit Grün- und Spielflächen sowie Stellplätzen und Tiefgaragen für Fahrräder.

Die Straße „Am alten Stellwerk“, eine Seitenstraße der Kemener Straße, markiert einen Eingang. Rechts ist eine Car-Sharing-Station, links eine Stange mit mehreren Verkehrszeichen untereinander. Ganz oben: Fußgängerzone und für Fahrradfahrer frei. Und da kommen sie auch schon angeradelt, Erwachsene und Kinder auf ihren Rädern, darunter auch etliche Lastenräder.

Mit der Siedlung älter werden

Als die Wohnungen der autofreien Siedlung bezugsfertig wurden, fühlten sich vor allem junge Familien davon angesprochen. So ist die Zahl der Seniorinnen und Senioren eher niedrig, wächst aber. Die Villa Stellwerk, ein Mehrgenerationenprojekt der Wohnungsbaugesellschaft GAG Immobilien AG mit 15 Wohnungen, passt da gut ins Bild.


Die Siedlung ist eine Mischung aus Einfamilienhäusern und Geschossbauten mit höchstens fünf Etagen.

Dazu kommen siebzig Einfamilienhäuser und 370 Wohnungen in Häusern, die barrierefrei zugänglich sind und über Aufzüge verfügen. Sie sind über ein engmaschiges Wegenetz miteinander verbunden. Dazwischen Plätze, viel Grün, viele Bänke. Rund 1.500 Menschen leben hier. Einer davon ist Isolde Marte. Die 75-jährige Rentnerin bewohnt seit Januar 2012 eine Zweizimmerwohnung.

Von ihrem Balkon aus guckt sie auf den Kindergarten und die umliegenden Grünflächen. „Die Wohnung war von der Lage ideal für mich – mein Sohn, seine Frau und meine Enkelin wohnten damals hier um die Ecke. Ihretwegen bin ich überhaupt von Mannheim nach Köln gezogen“, erzählt sie. „Dass die Wohnung in einer autofreien Siedlung liegt, war für mich persönlich nicht so wichtig.“ Dennoch: Sie genießt es, keine Autos, keinen Lärm und keine Abgase um sich herum zu haben.

Barrierefrei wohnen

Marte kennt inzwischen allerdings auch die Schattenseiten. Vor allem für Senioren im Rollstuhl oder mit Gehbehinderung bringt das Konzept der Autofreiheit einige Herausforderungen mit sich: „Taxis dürfen hier natürlich auch nicht rein. Dann muss man sich etwas einfallen lassen, wenn man mit drei Koffern in den Urlaub fahren möchte“, berichtet sie. Ausnahmen gelten nur für Fahrgäste mit einem Schwerbehindertenausweis. Lieferfahrzeuge benötigen für die Einfahrt eine Sondergenehmigung, Kosten: 25 Euro. Pflegedienste haben sich schon angepasst: Sie kommen mittlerweile mit dem Lastenrad.


Die Grünfläche für alle mit grünem Daumen, auch sie ein Erholungs- und Begegnungsort

Die rund um die Uhr geöffnete „Mobilitätsstation“ können alle nutzen, die eine jährliche Pauschale zahlen – auch aus der Umgebung von Stellwerk 60. Dort gibt es Fahrradtaschen und -anhänger, Sackkarren und große Baumarktwagen für den Transport von schwereren Lasten. Aber auch für Geselliges ist gesorgt: Bierbänke, Partyzubehör und eine Tischtennisplatte stehen bereit. Ganz nach dem Motto der Siedlung: Teilen statt besitzen.

Marte erzählt weiter: „Ein Möbelwagen darf für zwei Stunden in die Siedlung – aber mal ehrlich, wer schafft in dieser Zeit schon seinen Umzug?“ Gefreut hat sich die Seniorin, als an der Lokomotivstraße endlich eine Bushaltestelle eingerichtet wurde, zur Bahn sind es immerhin 800 Meter. „Zu Fuß benötige ich zum Wilhelmplatz und zu den Supermärkten in Nippes circa 15 Minuten.“


Für Gäste stehen sogar ein faltbarer Rollator und ein Rollstuhl in der Mobilitätsstation zur Verfügung.

Einmal pro Woche geht sie mit ihrem Einkaufstrolley los, um Lebensmittel einzukaufen. „Wenn ich mal etwas vergesse, gibt es in der Siedlung einen Kiosk, der von Tiefkühlkost bis hin zu frischen Brötchen und Kuchen alles hat.“

Fast ohne Auto mobil

Dennoch gibt es auch Autobesitzer. Am Rand der Siedlung steht eine Quartiersgarage mit 120 Stellplätzen. Davon 80 für Bewohner und 30 für Gäste. Für Autobesitzer ohne Stellplatz wird es schwierig: Sie bekommen keinen Anwohnerparkausweis für die umliegenden Straßen. Aber auch ohne Autos ist der Verkehr in der Siedlung wahrnehmbar: „Die Radfahrer und auch die Müllabfuhr fahren hier meist schneller als mit Gehgeschwindigkeit. Ich habe mich schon deswegen beschwert, aber geholfen hat es nichts.“

Dafür freut sich Marte über die nachbarschaftlichen Beziehungen. Bis vor vier Jahren war sie Teilzeit-Oma für einige Siedlungskinder. Mit einer Mutter und einer Oma von den Kindern ist sie heute immer noch sehr eng befreundet.

Offen für alle: Café Kaffee Kessel
Eingang Werkstattstraße/Ecke Kesselhausstraße neben der Mobilitätsstation

Der Verein „Nachbarn 60“ bietet dort ein Seniorencafé mit Bücherei an.
Ebenso gibt es verschiedene Arbeitsgruppen wie zum „Wohnen im Alter“. https://www.nachbarn60.de

 

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Tags: Wohnen im Alter , Wohnprojekte für Senioren in Köln

Kategorien: Leben in Köln