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Selbstverteidigung und Selbstbehauptung im Alter

Philipp Haaser · 21.12.2022

oto: istock.com / Krakenimages.com

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Selbstverteidigung – das klingt nach Kampfkunst, fliegenden Fäusten und rasanter Reaktionsfähigkeit. Um zu verhindern, Opfer eines Angriffs zu werden, kann man aber viel früher ansetzen. Lesen Sie den Expertenrat für mehr Sicherheit. Dazu gibt es einfache Tipps für Senioren.

Ein fester Schritt, ein wachsames Auge auf die Umgebung und ein wenig Vorbereitung, so lassen sich die gängigen Ratschläge zusammenfassen, um brenzlige Situationen zu vermeiden. Fachleute sprechen gern von Selbstbehauptung, die bis ins hohe Alter hinein trainiert werden kann. Sie ist gewissermaßen die kleine Schwester der Selbstverteidigung und stärkt das eigene Sicherheitsempfinden, auch wenn die körperlichen Fähigkeiten nachlassen.

Welche Mittel zur Selbstverteidigung hat man?
Vorsorge ist die beste Waffe!

Das gilt ebenso, wenn man sich plötzlich in einer unbehaglichen Situation wiederfindet. Denn auch hier hilft eine selbstsichere Ausstrahlung und Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Durchtrainiert muss man dafür nicht sein. Die Kölner Polizei begrüßt das auch bei älteren Menschen gestiegene Interesse an Selbstverteidigung und Selbstbehauptung.

Christoph Gilles, Hauptkommissar und Pressesprecher der Kölner Polizei, gibt zu bedenken, dass das Training an die individuellen Fähigkeiten angepasst werden müsse. Eingeschränkte Fitness und nachlassende kognitive Fähigkeiten seien zu berücksichtigen. Ungeeignete Techniken und Selbstüberschätzung bergen Gefahren. Insbesondere vom Mitführen von Waffen wie Pfefferspray, Messern oder gar Gaspistolen rät die Polizei ab.

Angreifer, die für ihre Taten eine gewisse „kriminelle Energie“ mitbringen, würden die Waffen an sich reißen und gegen ihre Opfer einsetzen. Grundsätzlich empfiehlt die Polizei Vorsorge: Nicht zu viel Bargeld mitführen, nicht alleine Besorgungen bei der Bank machen, beim Geldabheben auf Fremde achten, nicht unnötig Wertgegenstände transportieren, Geld, Kredit- oder Scheckkarten in verschiedenen Taschen und möglichst dicht am Körper verstauen. Im Ernstfall sollten Ältere, so die Empfehlung der Polizei, auf Widerstand verzichten, wenn die Täter es beispielsweise auf eine Handtasche abgesehen haben. Die Gefahr, sich zu verletzen, sei groß.

Einfache Tipps für mehr Sicherheit für Senioren

  • Heimweg planen: auf belebten Wegen sicher und gut sichtbar laufen
  • Sich gut über die Gegend informieren und wachsam bleiben
  • Handtasche überlegt packen, also Geld, Kredit- und Scheckkarten in verschiedene Seitentaschen stecken, und sie am Körper tragen
  • Keine Wertsachen oder größere Geldbeträge mitnehmen!
  • Möglichst keine großen Bankgeschäfte allein unternehmen und auf fremde Personen achten
  • Besser keine Waffen zur Selbstverteidigung! Sie reizen zu mehr Gewalt.
  • Laute und feste Stimme trainieren – im Ernstfall um Hilfe rufen, das schreckt oft schon ab.
  • Sicher stehen, eine stabile Haltung demonstrieren!
  • Hände möglichst frei halten
  • Notfalls auf Widerstand verzichten

Gleichzeitig verweist Sprecher Gilles auf die seit Jahren sinkende Zahl von Taten, die die Polizei der Straßenkriminalität zurechnet. Auf Kölner Stadtgebiet wurde der Höchststand 2014 erfasst: 47.086 Diebstähle, Raubüberfälle und ähnliche Delikte. 2021 war diese Zahl auf 30.581 gesunken. Dabei gab es 1.862 verletzte Menschen, 82 von ihnen schwer.

Wie kann man sich am besten schützen?
Das defensive Denken ablegen!

Es gibt aber auch ältere Menschen, die sich nicht damit begnügen wollen, den möglichen Schaden zu begrenzen. Karl-Heinz Güldenberg steht im Krav-Maga-Institut in Poll. Seine 63 Jahre sieht man dem durchtrainierten ehemaligen Zeitsoldaten nicht an. Sicherer Stand, sicheres Auftreten und ein gesundes Selbstbewusstsein, das sind die Ziele der Kurse, die er für alle Altersgruppen anbietet.

Er demonstriert, was das konkret heißt: Beine nebeneinander, schulterbreit auseinander und die Hände nach vorne. Er hält sie auf Brusthöhe, die Arme auf halbe Länge ausgestreckt. „Das wirkt beschwichtigend. Ich kann aber auch schnell reagieren, wenn mir jemand zu nahe kommt“, sagt er, stellt einen Fuß zurück, dreht sich kaum merklich und strahlt plötzlich deutlich wahrnehmbar eine erhöhte Bereitschaft aus.

„Wir wollen das defensive Denken ablegen.“

Karl-Heinz Güldenberg, Trainer im Krav-Maga-Institut

Angriff, Abwehr oder Flucht: Alles, außer zum Opfer zu werden, das sei der Geist hinter Krav Maga, einer aus Israel stammenden Verteidigungstechnik. „Wir wollen das defensive Denken ablegen“, sagt Trainer Güldenberg und meint damit auch die älteren unter seinen Teilnehmern. Jeder müsse „mit dem Arsenal arbeiten“, das ihm zur Verfügung stehe. Er demonstriert eine andere „Waffe“ und wird laut. Mit seiner Stimme und klaren Ansagen hält er einen fiktiven Angreifer auf Distanz. Der rechne insbesondere bei älteren Menschen gar nicht damit, auf Gegenwehr zu stoßen.

Ausgestreckte Arme, ein Rollator, der ihm entgegengeschoben werde, und eine kräftige Stimme reichen schon aus, um zu irritieren. Viel Kraft brauche es dafür nicht. „Selbstverteidigung heißt ja nicht, dass ich zwei Minuten boxen soll“, sagt Güldenberg.

Wie sollte man sich bei einem Angriff verhalten?
Sichere Stimme und Stand!

Für viele Senioren ist der Gedanke trotzdem ungewohnt. Catrin Wagner bietet seit 2016 Selbstbehauptungsworkshops für Seniorinnen und Senioren an, in der Regel nachmittags in Senioreneinrichtungen oder Bürgerzentren, in Kooperation mit dem Paritätischen Wohlfahrtsverband. Die Kurse hat sie mit der Technischen Hochschule und der Polizei entwickelt und streng an ihrer Zielgruppe ausgerichtet. Auch sie empfiehlt gute Vorbereitung. Welchen Heimweg nehme ich? Kenne ich die Gegend? Wie belebt ist sie? Wie packe ich die Handtasche? Etwa: Taschentücher gehören nach oben, Wertsachen nach unten, wenn möglich, nah an den Körper. Selbstverteidigungstechniken, so ihre Erfahrungen, seien ab einem gewissen Alter mit Verletzungsrisiken verbunden. Das Training von Befreiungsgriffen etwa habe zu blauen Flecken geführt. Hinzu kommt die offene Frage, wie realistisch ihr Einsatz wäre.


Mindestens eine Armlänge Abstand: Catrin Wagner vermittelt Seniorinnen Strategien für den Ernstfall. Foto: Dominic Röltgen

„Viele ältere Menschen sind mit dem Gehen voll und ganz beschäftigt“, sagt sie. Deshalb sei eine ihrer ersten Übungen immer, sicheren Stand zu finden. Daneben hat sie Stimmübungen und Körperhaltung in das Zentrum ihrer Kurse gestellt. „Viele haben lange nicht mehr laut gesprochen“, sagt sie. Eine ihrer Teilnehmerinnen ist Gertrud P., deren Namen wir für diesen Text geändert haben. Sie sei „zum Glück noch mobil“, so formuliert es die 85-Jährige. Wenn sie unterwegs ist, für eines ihrer Ehrenämter oder zu Freunden, fühle sie sich sicher. Dass ältere Menschen sich einschränken, weil sie Angst haben, beobachte sie aber häufig. Für sie komme das nicht infrage. Schlechte Erfahrungen hat sie bislang keine gemacht. Vorbereitet ist sie dagegen schon. Die Ratschläge aus Wagners Workshop hat sie verinnerlicht.

Und auch sie weiß: „Die Hände sollte man möglichst immer frei haben und in Habachtstellung.“ Sie läuft in einsameren Gegenden in der Mitte der Straße, wo sie gut sichtbar ist und ihr niemand auflauern kann. Und sie weiß, dass sie nicht hilflos ist. Selbstbehauptung habe nichts mit Kraft zu tun: „Ich wehre mich, indem ich laut werde, nicht, indem ich herumfuchtele. Meine Kraft ist meine Stimme.“ Diese Kraft habe sie gleichwohl erst entdecken müssen.


Foto: ehrenberg-bilder – stock.adobe.com

Wie spricht man mit einem Angreifer?
Hauptsache laut!

Als Kind sei sie, wie damals üblich, zur Zurückhaltung erzogen worden. „Mädchen sind nicht laut“, beschreibt sie die Haltung, die abzulegen ihr schwergefallen sei. Sie hat kurze Sätze trainiert, die man klar und deutlich aussprechen kann, auch wenn man aufgeregt ist: „Stopp. Halt. Lassen Sie das! Ich wünsche das nicht. Finger weg.“

Welche Formulierung man schließlich wählt, ist wohl auch Geschmacksache. Wer fit ist, kann Bewegungsabläufe, Stürze trainieren und vielleicht auch gezielte Schläge oder Tritte, um einen Schockmoment auszulösen. Aber auch eingeschränkte Menschen können auf sich aufmerksam machen, überraschen und irritieren. Ob man das in einem der Krav-Maga-Kurse trainiert oder in vertrauter Umgebung mit anderen Seniorinnen und Senioren, beides dient letztlich dem gleichen Ziel: dem Kampf gegen das Gefühl der Hilflosigkeit.

Worauf sollte man bei der Wahl des Selbstverteidigungskurses achten?
Die Polizei rät:

Selbstverteidigungskurse sollen laut Polizei anhand folgender Kriterien geprüft werden:

  • Ein Konzept muss vorliegen.
  • Der Kurs orientiert sich an den Ressourcen der Teilnehmenden.
  • Persönliche Grenzen werden erkannt und akzeptiert.
  • Es darf keine absolute Sicherheit versprochen werden.

Wer bietet Selbstverteidigungskurse in Köln an?

Der Paritätische Wohlfahrtsverband wird demnächst wieder Selbstbehauptungskurse anbieten. Tel. 0221 / 951 54 20.

Millimetertraining
Infos unter Tel. 0221 / 397 47 30
www.millimetertraining-beratung.de

Krav-Maga-Institut
Siegburger Str. 235 W,
Tel. 0221 / 16 89 67 46, 12–16 Uhr
www.krav-maga-institut.de/ standorte/krav-maga-koeln/

Selfdefensebox
Cologne Halle 20/21,
Stolberger Str. 200
www.krav-maga-koeln.com

Der Stadtsportbund bietet ebenfalls Selbstbehauptungskurse für Senioren an. Tel. 0221 / 92 13 00 22, www.ssbk.de

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Tags: Selbstverteidigungskurse und Kurse zur Selbstbehauptung , Sicherheit für ältere Menschen

Kategorien: Ratgeber