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Schabbat Schalom - Jüdische Feste und Alltag in Köln

Diana Haß · 08.06.2021

Das Brot (Challot) wird erst gebrochen und verteilt, wenn der Segensspruch über den Wein gesprochen wurde. Bis dahin wird es mit einem Tuch zugedeckt. Foto: Costa Belibasakis

Das Brot (Challot) wird erst gebrochen und verteilt, wenn der Segensspruch über den Wein gesprochen wurde. Bis dahin wird es mit einem Tuch zugedeckt. Foto: Costa Belibasakis

Köln gilt als älteste jüdische Gemeinde jenseits der Alpen. Seit über 1.700 Jahren leben hier Juden. Ein Familienbesuch am Schabbat.

Schürze an, Hände gewaschen und los geht’s: Noa R. flechtet Hefezöpfe. „Sie heißen Challot und gehören für uns zum Schabbat. Ich mag es, wenn es im ganzen Haus danach duftet“, erklärt die vierfache Mutter. Der Duft läutet im Reihenhaus der Familie den wöchentlichen Ruhe- und Feiertag ein. Er dauert von Sonnenuntergang am Freitag bis zum Sonnenuntergang am Samstag.


Aus Weißmehl, Eiern, Hefe und etwas Fett besteht der Teig des Festtagsbrotes ....

 
... namens Challot, das mit kunstvoll von den Kinderhänden zum Hefezopf geflochten wird.
Fotos: Costa Belibasakis.

Es gibt eine Vielzahl von Ritualen für den Schabbat. Für orthodoxe Juden sind an diesem Tag alle Arbeiten verboten, es dürfen auch keine Geräte bedient und keine Autos gefahren werden. Ganz so streng sieht Familie R. das nicht. Sie pflegt jüdische Traditionen und Gebote, hat jedoch einen eigenen Umgang damit. Das scheint nicht ungewöhnlich. „Jeder Jude hat sein eigenes Judentum“, meint Rafi Rothenberg, Vorsitzender der Jüdischen Liberalen Gemeinde Köln.

Die kleine Reformgemeinde, deren Synagoge in der ehemaligen evangelischen Kreuzkappelle in Riehl ist, hat etwa 170 Mitglieder. Weitaus größer ist die Synagogen-Gemeinde Köln. Gut 4.500 Jüdinnen und Juden zählt sie. Ihre prächtige Synagoge in der Roonstraße ist die einzige in Köln, die nach dem Holocaust noch stand. Auch sie war in der Reichspogromnacht 1938 verwüstet und im Krieg beschädigt worden. 1959 wurde sie wiedereröffnet. Vor der Herrschaft der Nationalsozialisten hatte es sieben Synagogen in der Stadt gegeben.

Viele Juden stammen aus der ehemaligen Sowjetunion

Gewachsen ist die Synagogen-Gemeinde Köln in den letzten Jahrzehnten vor allem durch den Zuzug von Juden aus der ehemaligen Sowjetunion. Gut drei Viertel der Gemeindemitglieder stammen von dort. Vor allem die älteren unter ihnen sprechen Russisch, kaum Deutsch. Verschiedene Glaubensrichtungen sind unter dem Dach der Synagogen-Gemeinde vereint, man orientiert sich an einem gemeinsamen orthodoxen Ritus. Dazu gehört unter anderem, dass Frauen und Männer getrennt sitzen.

Dennoch ist die Gemeinde offen und vorwärtsgewandt. „Inzwischen gibt es einen regen Austausch mit den anderen Religionen“, sagt der Vorstand der Synagogen-Gemeinde, Abraham Lehrer, und fügt hinzu:

„Wir fühlen uns in der Stadtgesellschaft gut aufgehoben und integriert. Ich lebe sehr gerne in Köln.“

 


Als koscher bezeichneter Rotwein kann in Köln in einem Kiosk in der Beethovenstraße gekauft werden.
Foto: Costa Belibasakis

Ein Zeichen der Zugehörigkeit: Seit 2017 gibt es wieder einen jüdischen Karnevalsverein in Köln, die Kölschen Kippa Köpp (KKK). Zur Synagogen-Gemeinde gehört eine Vielzahl von Einrichtungen und Vereinen. Die Gemeinde betreibt drei Seniorenclubs in Ehrenfeld, Porz und Chorweiler. Im Wohlfahrtszentrum in der Ottostraße in Ehrenfeld gibt es ein Seniorenheim, einen Kindergarten und eine jüdische Grundschule.

Alle Kinder der Familie R. waren dort. „Wir haben vor allem viel über unsere Feiertage und ihre Bedeutung gelernt“, erinnert sich Naomi R. (15). Sowohl im Kindergarten als auch in der Grundschule waren ganz selbstverständlich auch Kinder anderer Religionen. „Alle Einrichtungen der Synagogen-Gemeinde sind prinzipiell auch für Nicht-Juden offen“, betont Geschäftsführer David Klapheck.


Am einladend gedeckten Tisch trifft sich die Familie zum Schabbat – genauso wie bei vielen anderen Anlässen und Festtagen. Mal ist das koschere Mahl schlicht, mal wird aufwendiger gekocht.
Foto: Costa Belibasakis

Immer noch Antisemitismus

Doch bei aller Offenheit: Es gibt Sicherheitsvorkehrungen. Gäste werden kontrolliert, in der Regel steht ein Einsatzfahrzeug der Polizei vor den jüdischen Einrichtungen. Denn: Noch immer gibt es Antisemitismus. Siebzehn Fälle von antisemitischen Straftaten wurden 2020 in Köln registriert. Das scheint nicht viel. Doch Daniel Vymyslicky von der neu gegründeten „Meldestelle für antisemitische Vorfälle“ im NS-Dokumentationszentrum ist sicher, dass eine hohe Dunkelziffer existiert. Und er gibt zu bedenken: „Auch antisemitische Vorfälle, die juristisch keine Straftat darstellen, werden von Betroffenen oft als überaus bedrohlich wahrgenommen. Die Polizei-Statistiken bilden hier nicht die Realität der Betroffenen ab.“

David, der 12-jährige Sohn der Familie R., bestätigt das:

„Auf dem Schulhof wurde einmal Jude als Schimpfwort benutzt. Das fand ich sehr schlimm.“

Aus Vorsicht möchte Familie R. deshalb in diesem Artikel nicht zu erkennen sein. „Ich beneide manchmal Christen, dass sie so selbstverständlich in aller Öffentlichkeit das Kreuz tragen können“, gibt Noa zu. Sie hätte Bedenken, öffentlich eine Kette mit Davidstern zu tragen.

Auch die Kippa, die kreisrunde Kopfbedeckung, die männliche Juden bei ihrer Religionsausübung tragen, sieht man im Straßenbild so gut wie nie. Am Schabbat der Familie R. jedoch fehlt sie auf keinen Fall. Vater und Sohn haben sie zur Zeit des Sonnenuntergangs angezogen und stehen jetzt im Wohnzimmer. Noa R. entzündet mit einem Streichholz zwei Kerzen, die auf großen silbernen Haltern in einem Regal an der Wohnzimmerwand thronen.


Das Anzünden der Schabbat-Kerzen gehört zu den Aufgaben der Frauen und Mädchen. Foto: Costa Belibasakis

Dabei singt sie auf Hebräisch den Schabbat-Segen. Ihre Töchter stimmen ein und zünden kleinere Kerzen an. Ein festlicher Zauber legt sich über den Raum. Am Esstisch nimmt Vater Elias ein Gebetbuch, den Siddur, in die Hand und segnet den Wein, den seine Frau und er in ihren Kelchen haben. Die Kinder halten Gläser mit Traubensaft. Nach dem Segen und einem fröhlichen „Schabbat Schalom“ stürmen sie zum Händewaschen.

Kaschrut sagt, was koscher ist

Zurück am Tisch folgt ein gemeinsames Abendbrot. Jeder reißt sich Stücke des köstlichen, lauwarmen Challot ab. „Wir geben uns Mühe, uns möglichst koscher zu ernähren“, erklärt Noa. Juden haben viele Speisegesetze. Sie stehen in der Tora und heißen Kaschrut. Kaschrut legt fest, wie Essen und Trinken zubereitet werden muss und was zum Verzehr geeignet ist. So darf beispielsweise kein Schwein gegessen werden und Fleisch- und Milchprodukte dürfen nicht zusammenkommen. Wenn alle Gesetze beachtet werden, gilt eine Speise als koscher, also geeignet.

Bei Familie R. gibt es an diesem Schabbat Shakshuka, das sind versunkene Eier in einer orientalischen Tomatensoße. Außerdem auf dem Tisch: Auberginenpaste, Mandeln, Oliven, Datteln, Schokoladenpralinen und mit Mohn gefüllte Haman-Taschen. „Dieses Gebäck erinnert an den bösen Haman aus dem Buch Esther. Das Dreieck soll seine hässlichen Ohren darstellen“, erzählt Naomi.


Vor allem an Purim, dem jüdischen Karneval, werden Haman-Taschen gebacken. Foto: Diana Haß

Juden begehen viele Feste. „Und immer gibt es gutes Essen“, schwärmt Naomi. Ebenso wie ihr Bruder David besucht sie inzwischen ein städtisches Gymnasium. Denn die Pläne für ein jüdisches Gymnasium in Köln sind noch nicht umgesetzt. Um seinen Mitschülern das Judentum näherzubringen, hat David zusammen mit einem Freund in der Schule erklärt, wie das jüdische Neujahrsfest, Rosch Haschana, gefeiert wird. Sie haben dazu Granatapfel und einen Honigkuchen mitgebracht. „Das fanden die gut“, erzählt er – und wendet sich dann einer Frage zu, die ihm jetzt unter den Nägeln brennt: „Wann spielen wir endlich Karten?“ Fernsehen, Computer oder Handy bleiben bei Familie R. am Schabbat aus.

Liebe Leserinnen und Leser,


Foto: Stadt Köln

das Jubiläum „1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ wird von Köln ausgehend bundesweit begangen. Es gründet auf dem Edikt Kaiser Konstantins aus dem Jahr 321, das jüdisches Leben in Köln bereits für die Spätantike verbrieft – der älteste Nachweis im heutigen Deutschland.

Unsere lange Stadtgeschichte von der römischen Colonia bis zur einzigen Millionenstadt am Rhein haben Jüdinnen und Juden intensiv mitgeprägt. Davon zeugen steinerne Figuren jüdischer Persönlichkeiten am Rathausturm: der Bankier Abraham Oppenheim, der Intellektuelle Moses Hess, der Komponist Jacques Offenbach und die erste Kölner Sozialamtsleiterin, Hertha Kraus, die dem sozialen Köln ein wirkmächtiges Erbe vermacht hat.

Darüber hinaus werden wir die jüdische Geschichte künftig noch sichtbarer machen: Direkt neben dem Historischen Rathaus entsteht derzeit über den Funden der mittelalterlichen jüdischen Gemeinde das MiQua – Museum im Quartier: ein Ort des Wissens und ein Ort des Bekenntnisses zum jüdischen Köln auch im Hier und Jetzt.

Die Synagoge in der Roonstraße, unsere lebendige Städtepartnerschaft mit Tel Aviv-Yafo, die Schalömchen- Bahn der KVB und großartige jüdische und israelische Restaurants erzählen in unseren Tagen von dieser Verbundenheit und unserer Vielfalt, die uns stark macht. Jüdinnen und Juden gehören zu Köln ganz fest dazu: gestern, heute und morgen. Das ist meine Botschaft für das Festjahr. Und daher freue ich mich, dass die Stadt Köln das Jubiläum engagiert mitgestaltet und den Verein „321: 1.700 Jahre Jüdisches Leben in Deutschland“ unterstützt.

Ich lade Sie alle herzlich ein, am Festjahr mit seinen vielen – auch digitalen – Veranstaltungen teilzuhaben

Unterschritft Henriette Reker

Henriette Reker
Oberbürgermeisterin der Stadt Köln

Die Synagogen-Gemeinde Köln bietet Gruppenführungen durch die Synagoge und über den Jüdischen Friedhof in Bocklemünd und in Deutz an.
Kosten: 5 Euro
Anmeldung: e.bugaeva@sgk.de
Ottostr. 85
Tel. 0221 / 716 62-0

Synagoge:
Roonstr. 50
Tel. 0221 / 92 15 60-0

Informationen sowie eine Übersicht der jüdischen Feiertage: www.sgk.de

Die Jüdische Liberale Gemeinde Köln bietet einmal im Quartal Gottesdienste für Gäste an – in der Regel mit einer Einführung in den jüdischen Gottesdienst.
Stammheimer Str. 22
Tel. 0221 / 287 04 24
www.jlgk.de

Das koschere Restaurant „Kantine Mazal Tov“ ist in der Synagoge, Roonstr. 50. Es steht Gästen nach Voranmeldung offen.
Tel. 0221 / 240 44 40

Mehr Informationen sowie Veranstaltungen zum jüdischen Festjahr finden Sie auf: 1700 Jahre jüdisches Leben in Köln.
Hören Sie den KölnerLeben-Podcast zum Thema: Für Demokratie – Gegen Antisemitismus

Tags: Jüdisches Festjahr , Jüdisches Leben in Köln

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