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Leben in Köln

Aufstand in der Oper

lg · 03.01.2021

Helmi R., Christa L. und Monika P. mit Betreuerin Annika Lintl in der Kölner Oper (von links nach rechts). Foto: Laura Geyer

Helmi R., Christa L. und Monika P. mit Betreuerin Annika Lintl in der Kölner Oper (von links nach rechts). Foto: Laura Geyer

Mit Demenzerkrankten in die Oper gehen? Schwierig, wenn sie zwischendrin aufstehen. Oder? In Köln ist das möglich….

Monika P. streicht ihren Rock glatt. Sie sitzt zusammen mit Helmi R., Christa L. und zwei Betreuerinnen in Saal 3 des Staatenhauses, der derzeitigen Spielstätte der Oper Köln. Gleich beginnt Richard Wagners „Walküre“ in einer Fassung speziell für Kinder. Monika P. sagt: „Ich habe ganz vergessen, dass ich mich angemeldet hatte, aber ich mache ja gerne alles mit.“ Die kleine Gruppe ist heute Morgen aus dem Caritas-Wohnhaus St. Johannes in Erkrath angereist – zu einer ganz besonderen Vorstellung: Das Wagner-Stück ist Teil des Projekts „Oper für Jung und Alt“.

Seit gut drei Jahren bietet die Kinderoper Köln unter diesem Titel Aufführungen an, die sowohl Kinder als auch Menschen mit Demenz besuchen können. Vier Stücke sind es in der Spielzeit 2018/19, 26 Vorstellungen von Oktober bis Juni. Opern wie „Die Walküre“ werden auf etwa eine Stunde gekürzt und in eine klare, einfache Form gebracht. Das Konzept ist einzigartig und wurde 2017 mit dem Rudi Assauer Preis für Demenzprojekte in Deutschland ausgezeichnet.

Magische Begegnung zwischen Alt und Jung

In Saal 3 wird es jetzt laut. Helmi R. dreht sich um und ruft: „Guck mal, da kommen die Kinder!“ Schnatternd verteilen sich die Kleinen auf Stühle, Bänke und Sitzkissen. Anika Lintl lächelt. Die Betreuerin war schon mit vielen Demenz-Gruppen in der Oper. Sie erinnert sich: „In der vorherigen Spielstätte im Alten Pfandhaus haben wir die Kinder schon vor der Aufführung im Foyer getroffen. Da haben unsere Bewohner den Kleinen geholfen, wenn sie auf Toilette mussten, oder auf ihre Jacken aufgepasst, während sie spielten.“ Die Senioren schlüpfen im Austausch mit den Kindern in eine andere Rolle, weil sie das Gefühl haben, sich kümmern zu müssen. Im Alltag seien es sonst sie, um die man sich kümmern müsse.


Helmi R., Christa L. und Monika P. sind aus Erkrath zur Kölner Oper angereist (von links nach rechts). Foto: Laura Geyer

„Die Begegnung zwischen Alt und Jung ist magisch“, bestätigt Dr. Birgit Meyer, Intendantin der Oper Köln. Für die Demenzkranken, die sonst viel allein oder unter ihresgleichen seien, genauso wie für die Kinder, die lernten: Alter und Krankheit gehören zum Leben.

Es ist bekannt, dass Menschen mit Demenz nicht nur positiv auf Kinder, sondern auch stark auf Musik reagieren – vor allem auf Stücke, die sie von früher kennen. Meyer ist überzeugt, dass Oper als Kombination von Musik und Theater diesen Effekt noch verstärkt. „Oper hat, jenseits von rationalem Verstehen, eine große Sinnlichkeit“, sagt Frank Rohde, Leiter der Abteilung Theater und Schule und Initiator des Projekts. „Demenzkranke, die sich nach und nach von der Rationalität verabschieden, gucken und hören einfach hin – genau wie Kinder.“

Senioren sprechen tagelang von Opernbesuch

Wenn sich Gruppen anmelden, bietet Rohdes Team auch Vor- und Nachbereitungstermine an. Die Mitarbeiter fahren in die Heime, spielen den Menschen Musik vor, erzählen. Nach dem Opernbesuch zeigen sie ihnen Szenenfotos, stimmen die Lieder noch einmal an. Die Resonanz sei unglaublich, sagt Lintl: „Unsere Bewohner reden oft noch tagelang über den Ausflug, manche summen die Melodien.“

Auf der Bühne in Saal 3 wird jetzt gekämpft. Christa L. reißt die Augen auf, die Kinder rutschen aufgeregt hin und her. Helmi R. setzt die Brille auf und beugt sich vor. Dann setzt sie die Brille wieder ab, steht auf und sagt: „Ich muss mal.“ Niemand stört sich daran.

Genau das war der Gedanke am Anfang des Projekts: „Angehörige finden es oft unangenehm, mit Demenzkranken Veranstaltungen zu besuchen, weil sie vielleicht zur Toilette gehen oder dazwischenrufen“, sagt Frank Rohde. In der Kinderoper sei das aber nichts Ungewöhnliches. Warum also nicht beides zusammenbringen?

Die Idee ist inzwischen zu einer großen, gut organisierten Veranstaltung gereift. Die Gruppen werden eine halbe Stunde vor Aufführungsbeginn am barrierefreien Seiteneingang abgeholt und mit dem Aufzug ins Obergeschoss gebracht. Dort können die Besucher ihre Rollatoren abstellen und am Rand Platz nehmen, auch für Rollstuhlplätze ist gesorgt.

Informationsblatt zum Opernbesuch für Demenzgruppen
Ein liebevoll gestaltetes Informationsblatt zeigt, wie der Opernbesuch für Demenzgruppen abläuft. Mit einem Klick auf das Bild öffnet sich eine größere Ansicht in einem neuen Fenster. Repro: Redaktion KölnerLeben / Oper Köln

Die Begleiter können sich entspannen und den Ausflug genießen. „Wir schaffen es, das Verhältnis ‚krank – nicht krank‘ für eine Stunde aufzuheben“, sagt Rohde. Für die Angehörigen, gerade die Kinder von Demenzkranken sei das unheimlich wichtig, ergänzt Lintl: „Gemeinsam auszugehen ist etwas, das sie wahrscheinlich schon früher mit ihren Eltern gemacht haben. Es bringt ein Stück Normalität zurück in ihre Beziehung.“

Birgit Meyer ist noch etwas wichtig: „Oper ist nicht nur für gebildete und reiche Menschen.“ Die Kraft der Geschichten, die Kraft der Musik, die Kraft der Erinnerung, all das möchte die Oper den Menschen zukommen lassen, die alleine keinen Zugang dazu hätten – damit sie an dem bereichernden Gesamterlebnis Oper teilhaben können.

Im Staatenhaus hat die Aufführung mittlerweile das Finale erreicht. Die Sänger verbeugen sich, winken ins Publikum. Monika P. dreht sich zu den Betreuerinnen um und fragt: „Was war das jetzt, die Nibelungen?“

„Oper für Jung und Alt“

Kinderoper Köln im StaatenHaus, Saal 3
Rheinparkweg 1
50679 Köln

Eine Anmeldung ist unbedingt erforderlich.
E-Mail: theaterpaedagogik@buehnen.koeln
Telefon: 0221 / 221-2 83 84

Kosten: 6,50 Euro pro Person

Der Vorstellungsbetrieb ist eingestellt bis einschließlich 31. Januar 2021.

 

 

Tags: Demenz , Kultur , Musik

Kategorien: Leben in Köln