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Mit Schlagern gegen Demenz: „Schöne Maid“ für schöne Zeit

René Denzer · 13.01.2022

Georg Böhmer in Aktion. Er lernte die Wohngemeinschaft vor einigen Jahren kennen, als seine Schwägerin hier einzog. Obwohl diese inzwischen verstorben ist, engagiert er sich weiter. Foto: René Denzer

Georg Böhmer in Aktion. Er lernte die Wohngemeinschaft vor einigen Jahren kennen, als seine Schwägerin hier einzog. Obwohl diese inzwischen verstorben ist, engagiert er sich weiter. Foto: René Denzer

Die große Schlagerwelt kommt in eine kleine Demenz-WG – dank engagierter Angehöriger und mit Hilfe eines Vereins. Lesen Sie über ein musikalische Wohngemeinschaft in Köln.

Trude Herr ist schnell erkannt, Drafi Deutscher auch, bei Cliff Richard ist es schwierig und bei Freddy Quinn gibt es einen Tipp: „Das ist ein Hamburger Jung und sein Nachname fängt mit Q an“, sagt Georg Böhmer. Sein Blick geht in die Runde. Eine Antwort bleibt aus. Als der ehrenamtliche Quizmaster den Namen des Sängers und Schauspielers nennt, kommt die Erinnerung zurück.

Eine lebhafte Wohngemeinschaft

Böhmer sitzt an einem Laptop, den er an einen Fernseher angeschlossen hat, im „Wohnzimmer“. Auf Sofa und Sessel im Halbkreis vor ihm sitzen mehrere Damen. Was sie eint: Sie alle sind an Demenz erkrankt. Bei manchen ist die Krankheit mehr, bei anderen weniger fortgeschritten. Das „Wohnzimmer“ befindet sich nicht in einem Heim, sondern in einer besonderen Wohngemeinschaft (WG) in der Alten Wipperfürther Straße in Buchheim.

Seit Oktober 2011 ist in der „Ahl Wipp“, wie die Straße liebevoll genannt wird, eine Gruppenwohnung für Menschen mit Demenz. Acht Frauen nennen die WG ihr Zuhause. Jede hat ein eigenes Zimmer mit Bad. Ein ambulanter Hilfsdienst sorgt für eine Rundum-Betreuung, 24 Stunden am Tag.

Unterhaltung gut, Laune bestens

Die Wohngemeinschaft ist eine selbstverantwortete Wohnform. Bewohnerinnen und deren Angehörige spielen eine entscheidende Rolle. Letztere sind in der Verantwortung für die Belange ihrer Verwandten. Sie sind für Wohnung, Haushaltskasse und für die Finanzierung des Betreuungsdienstes zuständig. Und auch für die Freizeitgestaltung. Die hat sich Georg Böhmer im Auftrag des Vereins „Gemeinsam leben mit Demenz“ auf die Fahnen geschrieben.

 


Foto: René Denzer

 

„Mit Musik verbinden die Menschen etwas, das aktiviert ihre Erinnerungen.“

Georg Böhmer

Schöne Erinnerungen

So gestaltet der pensionierte Berufssoldat gerne Quiz-Nachmittage, wie über die Musikstars von einst. Zunächst spielt er bekannte Titel an. Die Aufgabe der Damen ist es, den Interpreten zu erraten. „Mit Musik verbinden die Menschen etwas“, sagt er, „das aktiviert ihre Erinnerungen.“ „Rote Rosen, rote Lippen, roter Wein“ – das Lied von René Carol hebt die Stimmung. Die Damen summen mit, trommeln mit den Fingern auf der Armlehne, wippen mit dem Fuß.

Mit dem Sänger Gerhard Wendland wird musikalisch bis in den Morgen getanzt und bei Hildegard Knef regnet es rote Rosen. Wenn Georg Böhmer merkt, dass die Damen ein Lied besonders mögen, lässt er es auch mal länger laufen. „Da kann der Chor dann mitsingen“, sagt er lächelnd.

Neben der Musik zeigt der 58-Jährige auch immer wieder Fotos der Sängerinnen und Sänger. Das hilft manchmal bei der Antwort auf die Frage nach den Namen und führt ab und an auch zu Kommentaren bei den WG- Bewohnerinnen: „Fred Bertelmann? Hübsches Kerlchen.“
Was die Damen mit den Interpreten und den Liedern genau verbinden, weiß Böhmer nicht. Er weiß nur, dass es bei den Menschen etwas auslöst. Und das ist offensichtlich: Sie haben durchweg gute Laune. Da wird dann auch mal das Glas Wasser, das der Pflegedienst reicht, spaßeshalber als Sekt bezeichnet.


Wenn Stars, wie Trude Herr singen, dann kann stilles Wasser zu prickelndem Sekt werden. Foto: René Denzer

Vereinte Unterstützung

2016 haben sich einige Angehörige zum Verein „Gemeinsam leben mit Demenz“ zusammengeschlossen. Er unterstützt Erkrankte darin, trotz Demenz ein möglichst selbstbestimmtes Leben zu führen. Georg Böhmer ist einer von sieben Ehrenamtlichen, die für Unterhaltung in Demenz-WGs sorgen.

Es geht darum, dass Erkrankte weiter am sozialen Leben teilhaben, Angehörige entlastet und zusammengebracht werden – als Verein ist das einfacher zu händeln. Genauso wie an Fördergelder und Spenden heranzukommen. Damit können Fortbildungen für Angehörige finanziert, andere selbstverantwortete WGs bei der Gründung unterstützt oder auch Georg Böhmer größere Veranstaltungen durchgeführt werden. Wie beispielsweise ein Konzert für Menschen aus verschiedenen Demenz-WGs, das 2018 mit Liedermacher Björn Heuser in der Kulturkirche Ost stattgefunden hat.

Fördermittel und Spenden helfen allerdings auch bei vermeintlich kleinen Dingen. So ist aus der Vereinskasse der große Fernseher angeschafft worden, über den Böhmer sein Quiz abspielt. Bei dem fragt jetzt Tony Marshall, ob die schöne Maid heute für ihn Zeit hat. Die vergeht an diesem Nachmittag wie im Fluge. Anderthalb Stunden sind schnell vorbei. Von den Damen gibt es Applaus. Beim nächsten Quiz wird es um Kinostars gehen, verrät Böhmer und verabschiedet sich bis auf bald.

 

Gemeinsam leben mit Demenz e. V.
Der Verein freut sich über Spenden und Ehrenamtliche. Tel. 0221 / 270 87 32.
www.gemeinsam-leben- mit-demenz.de

Demenz-WGs
Alle Adressen bestehender Gemeinschaften: Beratungstelefon für Senioren und Menschen mit Behinderung: 0221 / 221-2 74 00.
www.stadt-koeln.de/beratungstelefon

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Tags: Demenz , Wohnprojekt

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