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Bevor im Roxy das Licht ausging – Kölner Kinogeschichte

Tobias Christ · 11.12.2023

Das Roxy Karneval 1977 an der Severinstorburg. Foto: © Josef Gens

Das Roxy Karneval 1977 an der Severinstorburg. Foto: © Josef Gens

Ein Blick auf die wechselhafte Kölner Kinogeschichte der Wirtschaftswunderjahre.

Der Rudolfplatz heute: Sparkassengebäude zur rechten, links ein riesiger gesichtsloser Neubau, die Wallarkaden. Vor siebzig Jahren sah es hier noch völlig anders aus. Anstelle der Sparkasse glänzten hier die Hahnentor-Lichtspiele mit ihrer riesigen Fensterfront. Ein großer Saal bot Platz für 1.500 Menschen. Gegenüber befand sich das Theater am Rudolfplatz mit seiner Kachelfassade.

„Man ging über eine geschwungene Treppe in den ersten Stock und dann in den großen Saal“, erzählt Marion Kranen, Filmwissenschaftlerin und Mitgründerin des Vereins „Köln im Film“, über das 1956 eröffnete Theater am Rudolfplatz. Je nach Platzkategorie gab es blaue, gelbe, rote oder schwarze Sitzpolster. Nach dem Krieg entwickelte sich innerhalb weniger Jahre eine blühende Kinolandschaft. Die von Wilhelm Riphahn neu gebauten Hahnentor-Lichtspiele fanden 1948 sogar über Köln hinaus Beachtung.

Andere Kinos wurden an alter Stelle wieder aufgebaut. In der Innenstadt machte Willy Millowitsch den Anfang: Bereits im Januar 1947 zeigte er an der Aachener Straße auch Kinofilme. 1948 folgte die Schauburg in der Breite Straße. Sechs Jahre später konnte das Capitol am Hohenzollernring bei seiner Wiedereröffnung sogar mit einem Autopflegedienst in der hauseigenen Tiefgarage aufwarten. Zum Richtfest hatte Bauherr Hans Herbert Blatzheim natürlich auch seine Frau, die Schauspielerin Magda Schneider, und deren Tochter Romy eingeladen, ein Jahr vor der Premiere von „Sissi“.


Bereits 1947 zeigte Willy Millowitsch in seinem Theater auch Kinofilme. Foto: Rheinisches Bildarchiv

Und so ging es stetig weiter, ein Kino nach dem anderen eröffnete. „Nach dem Zweiten Weltkrieg war das Bedürfnis nach Unterhaltung und Vergessen groß, es gab auch ein enormes Interesse an Filmen, die man während der Nazi-Jahre nicht sehen durfte“, so Kranen. Es war die Zeit von James Dean, Hitchcock-Thrillern, aber auch von „Sissi“. Vor allem im glamourösen UFA-Palast fanden die Filmpremieren statt, bevor die Filme dann in die Vororte wanderten. Und mit den Premieren kamen nicht selten Stars nach Köln: Heinz Rühmann stand mehrmals auf der Bühne des UFA-Palastes, Brigitte Bardot, Gert Fröbe, Zarah Leander und Jean Marais ließen sich von den herbeigeeilten Menschenmassen vor den Kinos bejubeln. Danach gaben Produzenten und Kinobesitzer gerne rauschende Empfänge im feinen Dom-Hotel.


1956 ging man schick gekleidet ins Capitol am Hohenzollernring. Foto: Peter Fischer

Kino-Hochphase

Köln feierte damit bereits seine zweite Kino-Hochphase: Die erste ereignete sich in den 1920er Jahren, in denen sich schick illuminierte Kinopaläste etablierten. Als 1896 in Köln die ersten öffentlichen Filmaufnahmen überhaupt auf deutschem Boden gezeigt wurden, musste noch ein schlichter Raum am Augustinerplatz – heute Pipinstraße – reichen. So konnte sich jeder die kurzen Sequenzen vom windigen Domvorplatz oder von der Einfahrt eines Zugs in den Hauptbahnhof für 50 Pfennig Eintritt ansehen – damals eine Sensation. In den folgenden Jahren wurden immer mehr „lebende Photographien“ in angemieteten Sälen gezeigt, im Rahmen von Varietés oder auf Jahrmärkten. Das erste „feste“ Kino Kölns eröffnete 1906 an der Hohen Pforte. Auch in Vororten wie Nippes, Kalk oder Ehrenfeld entstanden Lichtspielhäuser. Sie befanden sich zumeist in den Händen von Gastwirten und unabhängigen Besitzern.

Die Ära der großen Paläste mit mehr als tausend Sitzplätzen brach nach dem Ersten Weltkrieg an. „Die Filme wurden länger, die Technik besser“, erklärt Kranen. Noch war der Film stumm, zur musikalischen Untermalung dienten Live-Orchester. Als um 1930 der Tonfilm Einzug hielt, bedeutete dies für viele Musiker, aber auch für so manchen Kinobetreiber das Aus: In der Wirtschaftskrise konnten sie sich die erforderliche technische Ausstattung nicht leisten. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs trieben die Alliierten den Wiederaufbau der Kinos, die die Nazis für ihre Propaganda missbraucht hatten, voran.

„Ävver irjendwann jing em Roxy dann et Leech für immer us.“

Bläck Fööss

„Mit Re-Education-Filmen (Umerziehungsfilmen, Anm. der Red.) sollten die Deutschen demokratisiert werden“, so Expertin Kranen. Der in Ehrenfeld lebende Karl Wingenfeld erinnert sich gut an die Filmtheater seiner Jugend. In seinem Viertel hatte er gleich mehrere Kinos zur Auswahl. Sie hießen Helios, Primus oder Urania und waren schlichter als die Innenstadthäuser. „Der große Caruso“ oder „Die Brücke am Kwai“ waren in den 1950er Jahren Kassenschlager, die sich auch der heute 87-Jährige anschaute. Er und ein Freund kauften sich für 90 Pfennig meistens Karten für die erste oder zweite Sitzreihe: „Wir nannten das die Rasierloge, weil man den Kopf so weit nach hinten legen musste.“ Alle 14 Tage investierte Karl Wingenfeld sein Taschengeld in das Kinovergnügen.

„Ävver irjendwann jing em Roxy dann et Leech für immer us“, sangen die Bläck Fööss und meinten das Kino am Chlodwigplatz, das in den 1970er Jahren schloss. Schon Anfang der 1960er Jahre begann die große Kinokrise. Schuld daran war nicht nur der Erfolg des Fernsehers, der Einzug in die Haushalte hielt. „Die deutsche Filmproduktion war in den 1960er Jahren ganz stark geprägt von wenig Risikobereitschaft“, erzählt Kranen. Heimatfilme wechselten sich mit Winnetou-Verfilmungen ab. Neues gab es kaum. Die Zuschauerzahlen sanken stark. Gab es 1961 noch 84 Kinos mit mehr als 11 Millionen Besuchern, waren es acht Jahre später nur noch halb so viele Kinos mit halb so vielen Zuschauern.

Stattdessen etablierten sich Arthouse-Kinos wie die Filmpalette mit einem anspruchsvolleren Programm, das nicht für die Masse bestimmt war. Seit Anfang der 1990er Jahre trug zum Kinosterben der Bau von riesigen Kinokomplexen bei. So auch in Köln und „auf der grünen Wiese“ vor den Toren der Stadt. Sie bieten neben hoher technischer Ausstattung, etwa mit 3-D-Effekten und Dolby Surround, umfassenden Service: Man kann unter einem Dach parken, speisen und trinken, bevor man in einem der vielen Säle „seinen“ Film anschaut.

Der Cinedom am Mediapark beispielsweise verfügt dafür über 14 Säle unterschiedlicher Größe. Heute bieten noch 15 Kinos ihr Programm an. Einige wurden nach langem Leerstand wieder zum Leben erweckt, wie der UFA-Palast am Ring, heute „Filmpalast“. Sie trotzen der Konkurrenz durch das Heimkino, das mit immer größer werdenden Bildschirmen, gutem Sound und der unendlichen Filmauswahl der Streamingdienste aufwartet. Verschiedene Hilfsprogramme haben den Kinos geholfen, die Corona-Lockdowns zu überstehen. Zu hoffen bleibt, dass es dem Kino wie dem Buch geht: Totgesagte leben manchmal länger.


Das Libra – die „Lichtspiele Braunsfeld“ – war mit 1.200 Plätzen ein beliebtes Vorstadtkino.

Heidi Weigand-Diederichs betrieb mit ihrem Mann in den 1960er Jahren das Kino Libra auf der Aachener Straße in Braunsfeld. Sie erzählt:

„Das Schweigen“ von Ingmar Bergmann war 1963 ein Skandal: Man sah einen kompletten Geschlechtsakt mit allem Zubehör. Das Interesse an dem Film war groß, doch das Publikum strömte erst in mein Kino, als die Lichter im Saal schon gelöscht waren. Gesehen werden wollte man lieber nicht. Der örtliche Pfarrer hatte zuvor vergeblich versucht, die Vorführung der „Schweinerei“ zu verhindern. Es war eine sehr bigotte Zeit, für mich war es aber vor allem eine tolle Zeit.

Mit 1.200 Plätzen und moderner Technik war das Haus ganz vorne mit dabei. Doch die neuesten Filme konnten erst gezeigt werden, wenn sie in den Premierenkinos der Innenstadt abgelaufen waren. Beliebt waren unsere „Lichtspiele Braunsfeld“ trotzdem und Konkurrenz gab es kaum. Wir waren das einzige Theater im Bezirk, das nächste war in Lindenthal. Ich war Kartenverkäuferin, Reinigungskraft und Filmvorführerin in einer Person. Vor allem an den Wochenenden kamen die Gäste schick gekleidet zu uns.

Das Rauchen war verboten, Hunde durften aber mitgebracht werden. Pärchen kamen eng umschlungen, um sich im Schummerlicht vielleicht noch näher zu kommen. Oft gingen die Kunden vorher essen und nach dem Film in die Weinstube, die zum Kino gehörte. Von hier aus ging es auch zu den Toilettenfenstern, durch die Kinder manchmal versuchten, sich ohne Eintritt einzuschmuggeln. Wer zu jung war, um in Filme ab 16 zu gehen, hatte ebenfalls schlechte Karten. Da passte ich auf. Als mein Mann 1966 starb, machte ich noch ein Weilchen weiter. Doch die Krise erreichte auch Braunsfeld. Durch die Zunahme des Fernsehens war das Kino einfach nicht mehr lukrativ. 1968 gingen dann auch im Libra die Lichter aus

Der Verein „Köln im Film“
Kölns Kinogeschichte und Führungen c/o Kölnisches Stadtmuseum, Kolumbahof 3, Tel. 0221 / 221-2 53 06
www.koeln-im-film.de

Viele Kinos bieten spezielle Programme für Senioren an. Die Termine finden Sie im Heft im Kalender und online im Kölnerleben Terminkalender.

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Tags: Kino , Kölner Stadtgeschichte

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