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Barrierefreiheit – wie der Küchenschrank für Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen erreichbar wird
David Korsten · 13.07.2022
Jürgen Dannewald in seiner Küche: Was zu weit oben steht, ist für ihn unerreichbar. Foto: Thilo Schmülgen
Jürgen Dannewald, 78, fährt mit seinem Rollstuhl durch die offene, breite Schiebetür seiner etwa 15 qm großen Küche in Mülheim. Ausreichend Platz zum Drehen und Wenden hat er hier zum Glück. „Aber an die Oberschränke komme ich nur, wenn ich mich mit Mühe an den Krücken aufrichte“, sagt der ehemalige Gastwirt und macht es vor. Das sieht in der Tat beschwerlich aus. Nach mehreren Rückenoperationen ist er auf seinen fahrbaren Untersatz angewiesen. „Aber ich trainiere jeden Morgen im Bett, habe schon viel abgenommen und will wieder ganz beweglich werden“, so sein Ziel.
An die Dinge, die er täglich in seiner Küche benötigt, gelangt er ohne Probleme und zeigt sein beeindruckendes Tee-Sortiment, das sich in einer der Schubladen befindet. „Einfache Sachen kann ich ganz gut kochen, das mache ich aber nicht so häufig“, sagt Dannewald. Meist versorge er sich über einen der vielen Imbisse in der Nachbarschaft. Einmal die Woche unterstütze ihn auch eine Haushaltshilfe.
Veränderungen für mehr Wohnkomfort
So vergleichsweise komfortabel ist die Situation in den eigenen vier Wänden für manch andere Menschen mit Einschränkungen nicht. Ihnen fällt es deutlich schwerer, die Küche mühelos zu nutzen. Schon weniger Beweglichkeit in Schultern und Armen macht Probleme: Hoch an der Wand angebrachte Oberschränke sind dann nur noch schwer erreichbar.
Auch das Bücken wird mit den Jahren meist beschwerlicher. Wer Töpfe, Pfannen und Teller aus tiefen Unterschränken herausbugsieren muss, spürt mitunter deutlich unangenehme Stiche im Kreuz. Schon kleine, leicht umsetzbare Veränderungen können das Kochen, Backen, Schnippeln und Spülen im Alltag deutlich erleichtern.
Praktisch: Backofen mit Auszügen und darunterliegender Arbeitsplatte. Foto: Adam + Stratmann GmbH
In großen Schubladen zum Beispiel lassen sich Töpfe und Pfannen gut verstauen und im Stehen und Sitzen gut erreichen. Aber das allein reicht bei Menschen, die im Rollstuhl sitzen oder auf einen Rollator angewiesen sind, nicht aus.
Herkömmliche, vor allem ältere Küchen werden im schlimmsten Fall unbenutzbar, wenn nicht genug Platz zum Bewegen ist, Arbeitsplatten und Schränke zu hoch oder zu tief angebracht, Tische nicht unterfahrbar sind.
Die Suche nach der barrierefreien Wohnung
In solchen Fällen kann „wohn mobil“ helfen. Das ist eine Beratungsstelle des Paritätischen Wohlfahrts- verbands. Die Mitarbeitenden schauen, ob Wohnungen – und damit auch Küchen – entsprechend umgebaut werden können, damit Menschen trotz körperlicher und/oder geistiger Einschränkungen so lange wie möglich im gewohnten Umfeld bleiben können.
Geht das nicht, unterstützen sie bei der Suche nach einer barrierefreien oder -armen Wohnung und helfen beim Umzug. Erika Küllchen, Leiterin von wohn mobil, sagt: „Damit Küchen barrierefrei sind, brauchen sie zunächst einmal eine ausreichend breite Eingangstür und ausreichend Platz zum Drehen und Wenden.“
Arbeitstische sollten die richtige Höhe haben. Foto: Thilo Schmülgen
Mindestens 1,20 mal 1,20 Meter müssen es sein, für Rollstuhlfahrer sogar 1,50 mal 1,50 Meter. Die Arbeitshöhe von Herd, Arbeitsplatten und Spüle sollte an die Körpergröße angepasst sein, im Idealfall sind sie höhenverstellbar und über Eck in einem Winkel von zirka 135 Grad angeordnet.
So müssen Rollstuhlfahrer kaum rangieren, wenn sie beispielsweise auf der Arbeitsplatte in der Mitte Gemüse schneiden, einen Kochtopf in der Spüle rechts davon mit Wasser befüllen und ihn danach auf das Kochfeld links der Arbeitsplatte stellen. Bei dieser Anordnung entsteht außerdem eine tiefe Ecke, die sich platzsparend als zusätzlicher Stauraum nutzen lässt.
Sicherheit: besser Ceranfelder
Fürs Kochen selbst gibt es verschiedene Varianten. Ein Ceranfeld sollte es auf jeden Fall sein – bei herkömmlichen, leicht erhabenen Herdplatten können Töpfe mit kochendem Wasser schnell umfallen und im schlimmsten Fall zu Verbrennungen führen. „Oft reichen zwei statt vier Kochfelder völlig aus, weil Kinder meist aus dem Haus sind und die gekochten Mengen ohnehin kleiner sind als früher“, so Küllchen.
Ratsam ist es, das Kochfeld quer einzubauen, damit beide Kochplatten gut erreichbar sind. Die Bedienung sollte von vorne möglich sein, damit sich Töpfe über die Seiten wegnehmen lassen. Wer aufwendiger kocht und doch vier Kochzonen benötigt, sollte diese möglichst nebeneinander installieren lassen. Das braucht allerdings viel Platz in der Breite und ist daher meist schwer umzusetzen.
Erleichterung mit dem richtigen Spülbecken
Für das Spülbecken bieten sich Ausführungen mit flacherem Becken an. Das verringert die Arbeitshöhe beim Spülen, sodass sich Töpfe, Teller, Tassen und Besteck leichter herausnehmen lassen. Erleichterung verschaffen auch Armaturen mit längeren Bedienhebeln. Sie zu benutzen, erfordert weniger Kraft, und kleinere Töpfe lassen sich befüllen, ohne sie ins Spülbecken stellen und dann mit mehr Gewicht wieder herausheben zu müssen.
Vorbildlich: hoher Geschirrspüler, Abflussregler als Knopf auf der Blende. Foto: Adam + Stratmann GmbH
Besonders praktisch sind Brausen mit einem herausziehbaren langen, beweglichen Schlauch. Damit können Töpfe gleich auf dem Herd mit Wasser befüllt werden. Praktisch sind auch Abstellflächen, die sich in Schränken oder Arbeitsflächen versenken und nur bei Bedarf ausziehen lassen, zum Beispiel unter einem höher als üblich angebrachten Backofen. Heiße Gegenstände lassen sich dort sofort abstellen. Solche ausziehbaren Flächen sparen Platz und erhöhen damit den Bewegungsspielraum. Kleinere Tische sind ebenfalls als Ausziehmodelle erhältlich. „Grundsätzlich kommt es darauf an, vor Ort zu schauen, was möglich ist und was sich gut umsetzen lässt“, erläutert Küllchen.
So wird Rangieren unnötig: der richtige Abstand zwischen Spüle, Schnippeln und Kochen. Foto: Adam + Stratmann GmbH
Barrierefreiheit steigert den Wert
Klar ist aber auch: Solche Wohnraumanpassungen in Küche und Co. kosten Geld. Für den Umbau einer kleinen Küche ist grob geschätzt mit 2.000 Euro zu rechnen, Maßanfertigungen mit vielen Extras können gut und gerne 10.000 Euro und mehr kosten. Aber auch bei der Finanzierung unterstützt wohn mobil, zeigt die verschiedenen Möglichkeiten auf und hilft bei den Anträgen.
Wichtig zu wissen: Vermieter müssen allen dauerhaften Umbaumaßnahmen an Wänden und Türen zustimmen. Bei der Kücheneinrichtung ist dies meist nicht erforderlich. wohn mobil arbeitet eng mit Wohnungsbaugenossenschaften, insbesondere der GAG, zusammen.
Küllchen sagt: „Sie sehen barrierefreie oder -ärmere Wohnungen in aller Regel als Wertsteigerung und beteiligen sich entsprechend an den Kosten, das ist inzwischen übrigens auch bei den meisten privaten Vermietern der Fall.“
Jürgen Dannewald will in seiner recht geräumigen Küche vorerst nichts verändern lassen. Sein Problem sei eher das Bad – in die leicht erhöhte Duschtasse komme er mit dem Rollstuhl nicht hinein, und absenken ließe sie sich nicht. Nicht immer sind alle gewünschten Veränderungen möglich. Meist geht aber mehr als gedacht – mit Erfahrung, den richtigen Ideen und einem geschulten Auge.
wohn mobil PariSozial – Beratungsstelle für Wohnraumanpassung und Wohnungswechsel
Mauritiussteinweg 36a,
50676 Köln,
Tel. 0221 / 56 03 40,
E-Mail: wohn-mobil-koeln@parisozial-koeln.de
Die Beratungsstelle berät Interessierte zu allen Umbaumaßnahmen, die Barrieren innerhalb der eigenen vier Wände reduzieren, und unterstützt bei Anträgen zur Kostenübernahme.
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Tags: Barrierefreiheit , Rollstuhlgerecht umbauen , Wohnen im Alter
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