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Mehr als 200 Jahre Karneval in Köln
Philipp Haaser · 13.05.2024
Der Held Karneval – Vorläufer des Prinz Karneval – hatte 1823 seinen ersten Auftritt. Er fuhr mehrere Male am Rosenmontag in einem mit Blattgold verzierten Delfinwagen im Maskenzug mit. Zeichnung: Kölnisches Stadtmuseum
Ob es dem Einfluss der ordnungsliebenden Preußen, die die Stadt zu der Zeit beherrschten, oder einigen Kölner Bürgern zu verdanken war, ist heute ungeklärt. Einig war man sich damals in der Diagnose: Der Kölner Karneval, das bereits seit Jahrhunderten beliebte Volksfest, brauchte einen geordneten Rahmen. Von „vermummten Horden“ war in den Berichten der Vergangenheit allzu oft die Rede, von Saufgelagen, Lärm und Schlägereien. Die Kölner Bürger richteten schließlich das „festordnende Comité“ ein.
Es organisierte 1823 den ersten Rosenmontagszug auf dem Neumarkt, eine Aufgabe, die es als Festkomitee bis heute wahrnimmt. Später kam die Auswahl des Dreigestirns hinzu, Prinz, Bauer und Jungfrau, die in der Regel aus einer der rund 140 im Festkomitee organisierten Gesellschaften stammen. Traditionell dauert die fünfte Jahreszeit, auch Session genannt, vom „Elften im Elften“ bis Aschermittwoch.
Jungfrau und Bauer sind seit 1883 fester Bestandteil des Zuges (Bild von 1907). Foto: Festkomitee Kölner Karneval
Bauer und Jungfrau auf ihrem Prachtwagen 1927. Von Dreigestirn wird erst seit 1938 gesprochen. Foto: Festkomitee Kölner Karneval
Die Karnevalsgesellschaften organisieren in dieser Zeit Bälle, Kostümsitzungen mit Rednern, Tanzgruppen und Bands, aber auch öffentliche Auftritte mit Bühnenprogramm und Verköstigung. Zeitgleich mit dem Festkomitee entstanden drei Karnevalsgesellschaften, die bis heute die närrische Zeit maßgeblich mitgestalten. Eine davon ist „Die Große von 1823“. Ihre Mitglieder sehen sich zuständig für „fröhliche Seriosität“. Heute organisieren sie unter anderem die familienfreundliche Sessionseröffnung am Deutzer Tanzbrunnen. Die „Hellige Knäächte und Mägde“, eine Tanzgruppe, deren Wurzeln ins Mittelalter zurückreicht, und die „Kölsche Funke rut-wieß vun 1823“, kurz: Rote Funken, sind die beiden anderen Jubilare.
Gemeinsam blicken sie auf gut zwei Jahrhunderte organisierten Karneval zurück, durchaus auch selbstkritisch, und wagen einen Blick nach vorne. Köln kann man ohne Karneval nicht verstehen. Er durchzieht die Strukturen auf allen Ebenen, politisch, sozial, ökonomisch. Das gilt für die Vereine, denen oft der Ruf anhängt, ein Hort des Klüngels zu sein oder, freundlicher formuliert, ihren Mitgliedern ein verlässliches Netzwerk zu bieten. „Man kennt sich, man hilft sich“: Das in Köln oft gelebte Motto gilt aber ebenso für den Kneipenkarneval, die Gemeindesitzungen, die Schull- un Veedelsszöch und für den alternativen Karneval, der sich von dem in Gesellschaften und Garden organisierten Karneval abgrenzt. Karneval ist Teil des gesellschaftlichen Gefüges. Wie die Kölner feiern, ist nicht davon zu trennen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg ist der Karneval 1949 aus den Trümmern wiedererstanden, hier der Rosenmontagszug von 1953. Foto: Festkomitee Kölner Karneval
Ein Fest der Rituale
Karneval geht zurück auf die christliche Fastenzeit, die vierzig Tage vor Ostern am Aschermittwoch beginnt. In den Tagen davor durften die Gläubigen noch einmal kräftig zulangen. Daraus wurden schon im 14. Jahrhundert die „Vastavende“, später „Fastelovend“, eine mehrtägige Feierperiode. Noch heute liegt die exzessive Hochphase des Straßenkarnevals zwischen Altweiber und Aschermittwoch, also unmittelbar vor der Fastenzeit. Die Ausweitung auf die davorliegenden Wochen ab dem 11.11. dürfte auf das menschliche Bedürfnis nach Frohsinn und Gemeinschaft in der dunklen Jahreszeit zurückzuführen sein. Und das war schon immer grenzenlos.
1870/71 wird aus dem Helden „Prinz Karneval“ (hier 1880). Foto: Festkomitee Kölner Karneval
Immer wieder versuchten die Kirchenfürsten und Stadtoberen, den Feiern Schranken zu setzen, weil sie aus dem Ruder liefen. Doch wo ist die Grenze überschritten? Für das Festkomitee sind Fragen wie diese hochaktuell: „Karneval soll keine beliebige endlose Party werden“, heißt es auf der Webseite. Wie viele Regeln braucht der Karneval, damit er nicht zur rein touristischen Attraktion, zu Saufgelage, Event und Kommerz verkommt?
Disziplin und närrische Anarchie – wie die hochgradig organisierten Karnevalsvereine zwischen diesen Polen vermitteln, lässt sich am Beispiel der Roten Funken gut nachvollziehen. Sie sind aus den schlecht bezahlten und feierfreudigen Stadtsoldaten hervorgegangen, die kaum militärische Stärke ausstrahlten. Wie alle anderen Gardekorps zeugen die Roten Funken bis heute auch von der Abneigung der Kölner gegen das preußische Militär, das als Besatzer in der Stadt war. Durch die Verballhornung des Militärischen verliehen die Funken dem Ausdruck, etwa mit ihren historisch anmutenden Uniformen samt stumpfer Säbel und Holzgewehre (auf Kölsch Zabel und Knabüs).
Die Roten Funken zogen zu Fuß und zu Pferde mit (1825). Foto: Festkomitee Kölner Karneval
Wo Rote Funke sich knubbeln
Beheimatet sind die Roten Funken in der Südstadt, als Pächter der Ulrepforte, eines der mittelalterlichen Stadttore. Hans-Josef Büttgenbach, Jahrgang 1948, ist einer von ihnen, seit 27 Jahren. Er wurde nicht weit von hier geboren, im Severinsklösterchen, und wuchs gegenüber der Ulrepforte auf. Die Roten Funken sind Teil seiner Erinnerungen, seiner Gegenwart, seiner Identität. Seit seiner Kindheit hegte er den Wunsch, den Funken beizutreten. „Zu teuer“, hatte seine Mutter damals gesagt. Erst knapp fünfzig Jahre später sollte sich der Wunsch doch noch erfüllen.
Die heute 550 Mitglieder sind unterteilt in aktive und inaktive Funken. Nur die Aktiven tragen Uniform und präsentieren das Korps auf Veranstaltungen. Büttgenbach zählt zu den inaktiven Mitgliedern. Er trägt statt Uniform das Litewka genannte zweireihige rote Jackett. An seinen Schulterklappen ist er dennoch als „General der Reserve“ zu erkennen. Inaktive Funken, die sich intensiv engagieren, können nach elf Jahren in die Reserve aufgenommen werden. Sie erhalten damit Stimmrecht und können wie die aktiven Funken in die Offiziersränge aufsteigen. General ist der höchste Rang, den ein Funk erreichen kann.
Mehrmals in 200 Jahren fiel der Zug aus – wegen Wetter, Wirtschaftskrise, Krieg. So auch 2022. Gegen den Ukraine-Krieg demonstrierend zogen die Roten Funken und andere Jecken trotzdem durch Kölns Straßen. Foto: Nina Gschlößl
Wie intensiv sich die Mitglieder einbringen, bleibt ihnen überlassen. Wert legen die Funken indes auf regelmäßige Anwesenheit. Einmal im Monat treffen sie sich zu ihren „Knubbelabenden“. Knubbel nennen sie die vier Abteilungen, durch die sich das Vereinsleben in übersichtliche Gruppen aufteilt. Wer ein Funk werden möchte, wird in der Regel von einem Bekannten zu einem solchen Abend mitgenommen. Dann folgt eine Phase von mehreren Jahren, in denen sich die Funken ein Bild von dem potenziellen Zugang machen. In dieser Zeit schnuppert er auch in andere Knubbel hinein. „Die unterscheiden sich alle ein bisschen im Charakter“, sagt Büttgenbach. Der Bewerber muss schließlich zwei Bürgen finden, die seine Aufnahme unterstützen. Dann tagt der Ballotage-Ausschuss und der Vorstand entscheidet.
Die Aufnahme ist mit Kosten verbunden. Für die Uniform und die Verköstigung (Speis und Trank) von hundert Teilnehmern und mehr werden zum Einstand in den ersten Jahren ohne weiteres vierstellige Beträge fällig. Wer es indes geschafft hat, repräsentiert eine der bekanntesten Gesellschaften und steht fortan auch ein Stück weit für den Karneval insgesamt gerade. Die Mitgliedschaft bei den Funken gilt ein Leben lang.
Erneut am Scheidepunkt?
Immer wieder diskutieren nun alle intensiv über die Zukunft des Karnevals. Das verfolgt auch Hans-Josef Büttgenbach mit Interesse. Vor Veränderungen hat er keine Angst. „Wir wollen ja ein Teil dieser Gesellschaft bleiben“, sagt er. Herkunft, Status, sexuelle Orientierung: Auf die Vielfalt unter den Funken ist er stolz. Das weibliche Dreigestirn sei nur eine Frage der Zeit. Dass aber bei den Funken Männer immer noch unter sich sind, das habe seine Vorteile. Ob sich das nicht erhalten ließe, wenn sich die Funken für Frauen öffnen würden? Büttgenbach wägt ab und zieht einen dieser typisch kölschen Schlüsse: „Entweder es funktioniert oder eben nicht.“
Seit 1823 hatte mit wenigen Ausnahmen jeder Rosenmontagszug ein Motto, wie etwa 1972: „Wir sind alle kleine Sünderlein“. Foto: www.grevenarchivdigital.de/Oswald Kettenberger
Zugwege
Medientipps
Hier geht es zu einer wunderbaren WDR-Dokumentation über 200 Jahre Karneval, unglaublich schön, unterhaltsam und berührend gemacht. Da geht das kölsche Hätz op, auch wenn man bis daher nicht wusste, dass man eines hat!
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Köln 1933 Karneval - Tanz der Roten Funken - Tanz Mariechen Hans Honnef - Originalton
Quelle: YoTube / Kölner Filmerbe Stiftung
Tags: Geschichte der Stadt Köln , Karneval
Kategorien: Kultur , Unser Köln