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Leben in Köln

Rocken ohne Ende

ph · 04.04.2018

Bei Faltenrock singen Frauen und Männer zusammen. Foto: Felix Vollmer

Bei Faltenrock singen Frauen und Männer zusammen. Foto: Felix Vollmer

Sie nennen sich „Faltenrock“, „Rolling Bones“ oder „Spätzünder“ – die Hobby-Rockbands mit vorwiegend älterer besetzung. Manche nahmen die Gitarre vor Jahrzehnten zur Hand, andere erst vor kurzem. Ist es für Rock nie zu spät?

Rockmusik ist in die Jahre gekommen. Silberlocken vor den Gitarrenverstärkern gehören auch in Kölner Proberäumen, in den Musikkneipen und Clubs der Stadt zum gewohnten Bild. Wer dem rebellischen Sound seiner Jugend treu geblieben ist, steht auch heute noch gerne auf der Bühne. Doch nicht nur die, die ihr Leben lang in Bands gespielt haben, sind mit ihrer Musik gealtert. Auch unter den Einsteigern, die zum ersten Mal eine Gitarre, Drumsticks oder ein Gesangsmikrofon in der Hand haben, sind heute viel mehr Senioren als früher. Die Musikschulen reagieren mit speziellen Angeboten für die Zielgruppe „60plus“.

Vielfältige Charaktere

„Klar, da sind viele dabei, die gerne mal den Verzerrer anschalten“, sagt Jens Kuß, Geschäftsführer der privaten Music Academy im Kölner Westen, über die älteste Gruppe seiner Schüler. Er und seine Kollegen bieten seit vier Jahren ein „Best Agers“-Programm an für Wiedereinsteiger und Rock-Neulinge: Einzelstunden kombiniert mit Band-Proben. Kuß betreut derzeit drei Senioren-Bands. Erwachsene, darunter auch Senioren, als Schüler habe es schon immer gegeben. Nun gibt es aber ein Programm speziell für sie – und zwar gezielt im Bereich Rockmusik. Kuß: „Das sind vielfältige Charaktere. Es gibt solche, die gehen entspannt mit der Herausforderung um. Andere sind aufgeregter als manche Zwölfjährige.“ Zwischen zwölf und dreißig Senioren zählt er unter seinen Schülern, je nachdem welche Altersgrenze man für die Kategorie „Best Agers“ ansetzen mag.

Beliebte Instrumente sind Gitarre, Klavier und Schlagzeug, aber auch Gesang oder Saxophon. Kalle Gerigk ist einer von Kuß’ Rock-Schülern. Der stadtbekannte Mieteraktivist hat eine Zeit lang Gesangsunterricht genommen und kommt an diesem Tag zur Probe von Grooving Rust, so der Name der Musikschulband, der sich leidlich mit „groovendem Rost“ übersetzen lässt. Gerigk ist der Sänger der Combo, seit zwei Jahren etwa. Seine Motivation, die am Anfang stand, war recht konkret: Er wollte ein bestimmtes Stück singen lernen. „Wäm jehürt die Stadt?“ – der Song der Kölschrocker Brings könnte auch das Leitmotiv von Gerigks politischem Engagement sein. Rockmusik machen sei für ihn Entspannung vom politischen Aktivismus, sagt er.


Kalle Gerigk ist als Sänger der Band Grooving Rust schon lange aktiv. Foto: Philipp Haaser

Erwachsene haben andere Erwartungen, das wissen auch die Musiklehrer. „Berufsmusiker werden die normalerweise nicht mehr“, sagt Claudia Wanner vom Verband der Musikschulen, dem bundesweit rund 930 Einrichtungen angeschlossen sind. Es gehe vielmehr um eine „schöne Freizeitbeschäftigung“ oder eben um ein bestimmtes Stück. „Lebenslanges Lernen“ lautet das Stichwort. Virtuosität steht nicht im Vordergrund. Dafür klappt es mit dem Notenlesen oft schneller. Rockmusik für Erwachsene gebe es seit etlichen Jahren, sagt Wanner. „Wahrscheinlich wird das mehr“, kann sie sich vorstellen. Der Anteil der älteren Schüler steige jedenfalls stetig und Wanner verweist auf veränderte Lebensentwürfe: „Die Leute wollen sich auch nach ihrem Berufsleben verwirklichen und nicht nur zuhause sitzen.“

Technik steht bereit

Im Proberaum der Music Academy trudeln nach und nach die übrigen „rostigen“ Bandmitglieder ein. Viel schleppen müssen sie nicht. Die nötige Technik, das Schlagzeug und bunte Scheinwerfer stehen hier immer schon bereit. Einer der beiden Gitarristen ist an diesem Dienstagabend zum ersten Mal dabei. Graues Haar, Schnäuzer – man kann sich gut vorstellen, wie er zuhause mit seinen Enkeln spielt. Jetzt zupft er Akkorde auf seiner E-Gitarre, begleitet die Parts der anderen, und als er mit einem Solo an der Reihe ist, formt er Melodien, dehnt die Saiten zum Vibrato und lässt glockenklare Töne im Raum schweben. Er lächelt. Gerigk erinnert sich noch gut an seine erste Probe: „Knocking On Heaven’s Door“ haben sie gespielt, um zu testen, ob es passt. Und es passte, nicht zuletzt, weil die Musik sie verbindet.

Musik aus der eigenen Jugend

„Die Menschen werden heute anders alt“, sagt Tina Damm. Sie arbeitet für die Sozialbetriebe Köln und hat in der in Riehl beheimateten Senioreneinrichtung das erste Rockkonzert organisiert. „Unsere Bewohner wollen die Musik aus ihrer Jugend hören und das sind heute keine Schlager mehr“, sagt sie. Also heuerte sie im vorigen Frühjahr die Holweider Cover-Band Bushfield an. Wo sonst Bingo und Kaffeekränzchen für Aufregung sorgen, rockten die sechs ebenfalls nicht mehr ganz jungen Musiker vor gut hundert Bewohnern. „Das war unser Highlight, absolut genial“, sagt Andreas Hahn, Bassist der Band, „wie unsere Musik die Leute inspiriert hat.“ Etliche Rollstühle auf der Tanzfläche und die große Lebensfreude im Publikum hätten bei ihm „Gänsehaut von Anfang bis Ende“ ausgelöst. „Mir war wichtig, dass das rockt“, sagt Damm, selber Freizeit-Musikerin. Die Bewohnerschaft und die Einrichtung waren offenbar bereit dafür. Als sie vor sieben Jahren dort anfing, hätte sie sich das noch nicht vorstellen können, sagt sie. In diesem Frühjahr werden Bushfield wieder in Riehl spielen, das steht schon lange fest. Zwar sei das Seniorenwohnheim noch nicht ganz ihre Welt, sagt Bassist Hahn. Doch auch das Durchschnittsalter bei Bushfield liegt jenseits der sechzig.

Tags: Musik

Kategorien: Leben in Köln