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Leben in Köln

Berlin brennt, Köln pennt?

js · 26.02.2019

Am 30. Mai 1968 verbarrikadierten Studierende das Hauptgebäude und benannten die Universität in Rosa-Luxemburg Universität um. Foto: P. Schmidt von Schwind

Am 30. Mai 1968 verbarrikadierten Studierende das Hauptgebäude und benannten die Universität in Rosa-Luxemburg Universität um. Foto: P. Schmidt von Schwind

Was 1968 wirklich in Köln los war, erzählen hier einige Zeitzeugen. Vertiefen kann man dies zurzeit in einer Ausstellung im Stadtmuseum.

1968: In den deutschen Hitparaden kämpfte Heintje mit „Mama“ gegen Beatles und Rolling Stones um Platz eins. In Prag walzten Panzer die Hoffnung auf einen „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ nieder. In Frankreich brachten Studentenunruhen die Regierung von Charles de Gaulle ins Wanken. In Deutschland wurde gegen die Einführung der Notstandsgesetze protestiert. Das Attentat auf Studentenführer Rudi Dutschke heizte die Atmosphäre an.

Zeitzeugen gesucht und gefunden

Auch in Köln ging es rund – die Ausstellung „Köln 68! protest. pop. provokation“ im Stadtmuseum erinnert daran. Fast hundert Kölnerinnen und Kölner hatten sich nach dem Aufruf bei Kurator Stefan Lewejohann gemeldet, um über ihre Erinnerungen an 1968 zu berichten. „Es ist ein breites Spektrum geworden“, sagt er, das sich in der Ausstellung widerspiegelt. Die Schützenvereine feierten weiter ihre Feste, die Jungs trugen Schlaghosen, die Mädchen Miniröcke. In Köln wurde die U-Bahn eröffnet, die Jugend träumte von Reisen in ferne Länder.

„Berlin war das politische Zentrum der Protestbewegung, Frankfurt das der Theorie und Köln das Zentrum der Avantgarde-Kunst“, ordnet Lewejohann die Ereignisse ein. Vom internationalen Kunstzentrum sind die Kunstmesse Art Cologne und auf dem Hohenzollernring der „Ruhende Verkehr“ geblieben, der von Wolf Vostell einbetonierte Opel. Nur wenige erinnern sich noch an den Aufruhr, den die Filmemacher Birgit und Wilhelm Hein auslösten. Sie wollten zeitgleich mit dem Kunstmarkt in der U-Bahn-Baustelle am Neu-markt Untergrundfilme zeigen. Gleich am ersten Tag beendete eine Polizeirazzia die Veranstaltung, Höhepunkt des sich anschließenden Protests war die Störung einer Opernaufführung am nächsten Abend.

„Schlagt die Germanistik tot“

Die Kölner Studentenproteste sind dagegen eher im breiten Bewusstsein geblieben. Auch wenn es 1968 spöttisch hieß: Berlin brennt, Köln pennt! „Unsinn“, sagt der spätere Journalist und heutige Krimiautor Edgar Franzmann, damals im SPD-nahen Sozialistischen Hochschulbund (SHB) aktiv und bei der Besetzung des Rektorats ganz vorn dabei: „Unser Protest richtete sich gegen den Ausschluss der studentischen Vertreter aus einer Senatssitzung.“ Eine Glastür ging kaputt, mehrere hundert Studenten „besichtigten“ den Raum. Franzmann wurde danach wegen Landfriedensbruch angeklagt. Auch wegen des Aufrufs zur Gewalt. Die Anklage zitierte den Sponti-Spruch „Schlagt die Germanistik tot, macht die blaue Blume rot“, den er auf eine Seminartafel geschrieben hatte. „Wir wollten nicht mehr nur tote deutsche Dichter ausdeuten, sondern uns mit der aktuellen Bedeutung von Sprache beschäftigen.“ Das sah dann auch der Richter ein: Freispruch in allen Anklagepunkten.

Angelika Lehndorff-Felsko am Albertus-Magnus- Denkmal vor der Universität zu KölnAngelika Lehndorff-Felsko am Albertus-Magnus-Denkmal
vor der Universität zu Köln. Foto: privat

Von Demokratie war die Rede, gelebt wurde sie nicht – das war, kurz zusammengefasst, der Anlass für den Studenten- und Jugendprotest. Der richtete sich auch gegen eine überkommene Moral und brachte Angelika Lehndorff-Felsko in die Schlagzeilen. Sie wohnte in einem Studentinnenwohnheim. „Jeder Besuch musste sich beim Pförtner eintragen und das Haus bis 22 Uhr wieder verlassen. Im Studentenwohnheim gab es das nicht.“ Die junge Studentin erfand mit ihren Kommilitoninnen für eine Nacht haufenweise Besuch. So waren etwa „Herr Ramses“ und „Frau Nofretete“ bei ihr zu Gast. Keiner meldete sich ab. Der Pförtner rief die Polizei, die aber fand niemanden. Der Skandal war perfekt. Was heute nur noch wenige wissen: Es gab den „Kuppeleiparagrafen“, demzufolge sich jeder strafbar machte, der unverheirateten Paaren ein Zimmer überließ. Und mündig war man und frau erst mit 21 Jahren. „Es hat Spaß gemacht“, erinnert sich die heute 83-Jährige, „mein politisches Bewusstsein war geweckt.“ Ihr Engagement für die DKP machte sie später zu einem Opfer des Berufsverbots.

1968 begann auch die politische Laufbahn von Reiner Kippe, der mit Sozialarbeitern und Erziehern den Verein „Sozialistische Sondermaßnahmen Köln (SSK)“, heute Sozialistische Selbsthilfe Köln, gründete. „Es war für mich die Möglichkeit, Menschen in Not zu einem besseren und sinnvollen Leben zu verhelfen durch Anleitung zur Selbstständigkeit und Selbstverantwortung für sich und andere.“ Seine optimistische Meinung, dass dadurch die Gesellschaft bis heute toleranter und demokratischer geworden ist, würde aber nicht von allen geteilt.

 

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Tags: Geschichte

Kategorien: Leben in Köln